„Das junge Kuba will es friedlich“

INTERVIEW KNUT HENKEL

taz: Herr Durán, in Europa glaubt man, alle Kubaner in Miami hätten eine riesige Fiesta gefeiert und die Boote klargemacht, als sich Fidel Castro ins Krankenhaus zurückzog …

Alfredo Duràn: So riesig war die Fiesta nicht. Alle Bilder, die ich gesehen habe, sind in der nächsten Umgebung eines sehr populären Restaurants, des Versailles, aufgenommen. Dort standen alle Fernsehkameras, weil es eben sehr bekannt ist als Treffpunkt von Exilkubanern. Und einige hundert Leute sind dorthin gegangen, um sich später selbst im Fernsehen sehen zu können.

Wie sieht es dann tatsächlich in Miami aus? Es gibt unterschiedliche Fraktionen in der kubanischen Exilgemeinde, die Hardliner und die Moderaten. Gibt es da Spannungen?

Nicht wirklich. Hier ist es recht ruhig. Die Spannungen zwischen den beiden Fraktionen haben in den letzten Jahren merklich abgenommen. Das hält natürlich einige wenige Hitzköpfe nicht davon ab, auf die Pauke zu hauen. Grundsätzlich aber ist sich die Mehrheit der Kubaner in den USA einig, dass man der Nachfolge in Kuba eine Chance einräumen muss. Kaum jemand hat noch ernsthaft daran geglaubt, dass es einen Übergang zu Lebzeiten von Fidel Castro geben würde. Nun hat es den Anschein, dass der Übergang bereits begonnen hat. Die Leute sind sehr gespannt, was passieren wird, und warten ab.

Wer spricht für die rund 800.000 Exilkubaner in Miami?

Es gibt eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher Stimmen, aber die einflussreichste Fraktion ist der überaus konservative Cuban Liberty Council, der sich 2001 von der Cuban American National Foundation (CANF) abgespalten hat. Die CANF hatte sich mehr und mehr von Rechtsaußen in die politische Mitte bewegt. Sie tritt inzwischen moderat auf und hat erheblich an Einfluss in der republikanischen Administration verloren. Andere Organisationen wie Puentes Cubanos, Kubanische Brücken, oder meine Organisation, das Cuban Committee for Democracy, die für den Dialog eintreten, haben hingegen an Bedeutung gewonnen.

Was sind die Gründe für dieses neue, moderate Gesicht der Exilopposition?

Das hat viel mit den Emigrationswellen zu tun. Nahezu alle Kubaner, die vor 1980 in die USA flüchteten, hatten ihren Besitz in Kuba verloren und sie kamen mit einem politischen Programm in die USA: Sie wollten die Regierung in Havanna stürzen und sich ihr Eigentum zurückholen. Nach 1980 kam eine andere Generation, die sich sehr viel stärker als Immigranten begriffen und nicht unentwegt von der Rückkehr auf die Insel träumten. Die oberste Priorität für diese zweite Generation von Exilkubaner war nicht Rache und Rückkehr, sondern die Versorgung der zurückgebliebenen Familienangehörigen in Kuba. Sie wollten hier in Miami vor allem eine Existenz aufbauen. Diese Leute sind in den letzten Jahren politisch aktiver geworden, weil sie nicht mit den von der Bush-Regierung verfügten Reisebeschränkungen und der Reduzierung der Geldtransfers nach Kuba einverstanden sind. Ihren Familien zu helfen wird ihnen immer schwerer gemacht. Dagegen wehren sie sich.

Es gibt also einen einen Generationenkonflikt und auch einen Generationswechsel?

Genau, die Generation, die in den 60er-Jahren kam, stirbt langsam weg. Die unterschiedlichen Generationen agieren mit einer ganz unterschiedlichen historischen Erinnerung. Die jüngere Generation will den friedlichen Übergang. Sie will keinen Bürgerkrieg, kein Blutvergießen, keine US-Invasion; sie wollen, dass die kubanische Gesellschaft ihre Probleme alleine löst.

Sie selbst waren einer der alten Hardliner und wurden Anfang der 90er–Jahre zu einem Verfechter des Dialogs? Wie kam es zu dem Wandel?

Ich habe an der Invasion in der Schweinebucht teilgenommen, ich war ein erzkonservativer Kämpfer gegen Fidel Castro und habe alles getan, um ihn und seine Regierung loszuwerden. Ich war das, was man in den USA einen „pretty right winger“ nennt. Doch irgendwann Anfang der 90er-Jahre habe ich begonnen zu begreifen, dass wir nicht sonderlich produktiv waren. Dann löste sich die Sowjetunion auf, für Kuba begannen harte Zeiten, aber es war auch das erste Mal, dass Havanna ohne den ständigen Blick auf die Sowjets, die Spanier oder die USA entscheiden konnte. Damals habe ich zum ersten Mal gesagt: Nun ist es Zeit, dass wir Kubaner unsere Probleme selbst lösen und miteinander reden. Lasst uns unser Verhältnis normalisieren. Und die erste Organisation, die für die Normalisierung eintrat, war 1993 das Cuban Committee für Democracy.

Wie hat man unter den Hardlinern in Miami reagiert? Waren Sie fortan ein Verräter der hehren Sache?

Die Leute haben mich respektiert, weil ich an der Invasion in der Schweinebucht teilgenommen habe. Andere, auch alte Freunde sagten, ich sei verrückt geworden. Doch im Laufe der Jahre hat sich das gelegt und der Einfluss der für den Dialog eintretenden Organisationen hat dann spürbar zugenommen. Heute würde sich ja selbst die CANF einem Dialog mit der politischen Führung in Havanna nicht unbedingt verweigern.

Wie beurteilen Sie die derzeitige Situation in Kuba?

Ich denke wir sind Zeugen eines Generationswechsels. Nicht unbedingt an der Spitze der politischen Führung, das muss sich erst noch zeigen, aber in den Gremien, dem Zentralkomitee oder dem Parlament, sind die meisten Mitglieder nicht älter als 50 oder 55 Jahre. Sie haben die vorrevolutionäre Zeit und die Revolution nicht bewusst erlebt. Der Übergang hat bereits begonnen, und ich bin sicher, dass diese Generation ihre eigenen politischen Vorstellungen hat. Sie werden Kuba ins 21. Jahrhundert führen und einige ökonomische wie soziale Aspekte normalisieren. Wir brauchen Einigkeit und eine nationale Versöhnung aller Kubaner und ich glaube, dass wir erleben werden, wie das passiert.

Ist Raúl Castro für die Hardliner in der Opposition denn akzeptabel?

Natürlich nicht, da bin ich sicher. Aber auf der anderen Seite haben Sie mittelfristig kaum eine Wahl. Sie werden zwar alles tun, um ihm das Leben schwer zu machen. Aber sie sind alt und haben in der Bevölkerung immer weniger Unterstützung.

Aber hängt das nicht auch von der Haltung Washingtons ab, und die Kontakte der Hardliner ins Weiße Haus gelten doch als exzellent?

Die Administration in Washington hat so viel zu tun, es gibt so viele Probleme, die haben kaum Zeit für Kuba. Die Bush-Administration kann sich keine weiteren Probleme leisten und obendrein stehen in einigen Monaten Wahlen an. Und die Umfragewerte der Republikaner sind nicht sonderlich gut, sodass man sich voll auf den Wahlkampf konzentrieren muss.

Liegt das Handelsembargo noch im US-Interesse?

Das Handelsembargo ist ein totaler Fehlschlag. Es hat in den vergangen fünfzig Jahren nichts gebracht und wird es auch künftig nicht. Es hat Havanna nur ermöglicht, den Status quo zu erhalten – bis heute. Ich denke, ohne Embargo hätten wir schon lange Veränderungen in Kuba gesehen.

Halten Sie einen Rollback ins Jahr 1959, vor dem Fidel Castro immer wieder gewarnt hat, für realistisch?

Das sind Träume einiger weniger alter Leute. Die Welt hat sich geändert und die kubanische Bevölkerung auch. Die ist heute gebildet, hoch qualifiziert und wird es nicht zulassen, dass die Uhr zurückgedreht wird. Kuba muss jetzt nach vorne schauen – nationale Versöhnung und die Garantie der zivilen Bürgerrechte – das sind die beiden zentralen Herausforderungen.