Jukebox

Gottväter des Grunge, Teil zwei: Die Screaming Trees

Das Jahr, in dem Grunge brach, war 1988. In diesem Jahr erschien nicht nur Mudhoneys Hymne „Touch Me, I’m Sick“, da veröffentlichte das Grunge-Geheimlabel SST auch das epochale Album „Bug“ von Dinosaur jr. sowie das leider nicht so epochale, aber nichtsdestotrotz großartige Album „Invisible Lantern“ von den Screaming Trees. Die Screaming Trees stammten aus der Umgebung von Seattle, waren 1988 schon ein paar Jahre dabei und hatten bis dato zwei eher unreife Alben veröffentlicht. Bis zu ihrem Split Mitte der Neunzigerjahre zählten sie zu den typischsten, leider aber erfolglosesten Grunge-Bands, trotz einem Mehrplatten-Deal mit Sony in den Neunzigerjahren, trotz dem „Singles“-Filmsong „Nearly Lost You“.

Warum das so ist, ist ein Rätsel und eine der vielen Ungerechtigkeiten der Popgeschichte. Vielleicht liegt es daran, dass die Screaming Trees weniger wütend und krank und gezielt kaputt waren als ihre Kollegen (und, denkt man an so späte Grunge-Reißbrettbands wie Alice In Chains, in deren Vorprogramm die Screaming Trees zu Sony-Zeiten gern verheizt wurden, viel organischer). Vielmehr versuchten sie in dem ganzen Neo-Siebzigerjahrerock-Psychedelia-Haudrauf immer die eine, feine, perlende und dazu ausgleichende, Weltschmerz austreibende Melodie zu packen.

Der Mann, der dazu jedem ihrer Alben seinen ultimativen Stempel aufdrückte, hieß Mark Lanegan, neben dem ungemein dicken, Gitarre und Bass spielenden Brüderpaar Connor ein Spargeltarzan vor dem Herrn und Kurt Cobain. Gesegnet war er mit einer mächtigen, vollröhrenden und raumgreifenden Stimme, gegen die Cobains Stimme ein einziges Krächzen und die von Mudhoneys Mark Arm oder von J. Mascis sowieso ein Nichts waren.

Lanegan hatte den Blues, so richtig und aus Passion, er hatte schon das Gold, das die anderen erst noch woanders schürfen mussten. Die Blaupause dafür und für das, was Lanegan später auf diversen Solo-Platten performt hat (und sicher auch kommenden Montag im Postbahnhof im Vorprogramm der Twilight Singers), ist auf „Invisible Lantern“ der Rausschmeißer auf Seite eins (ja, das gute alte Vinyl), „Grey Diamond Desert“. In diesem Song steckt mehr Blues als Grunge, er ist eine verquere Ballade, wie sie später grunge-typisch wurde, getragen fast nur von Langean, verfeinert von ein paar einsam irrlichternden Piano-Tupfern. Whiskey für den Geist, schon 1988. GERRIT BARTELS