Die große Verschwörung

Ist der Hisbollah alles zuzutrauen? Im Internet jedenfalls blühen die Verschwörungstheorien zum Libanonkrieg. Bestätigt wurde bislang zwar noch keine – doch das kümmert die Blogger wenig

von DANIEL BAX

Die israelische Armee behauptet, die Hisbollah würde ihre Raketen in Wohnhäusern und zivilen Gebäuden lagern. Mit diesem Argument versucht sie, die vielen zivilen Todesopfer zu rechtfertigen, die der Krieg im Libanon bislang gekostet hat. Für Freunde der israelischen Kriegsführung – wie den Zeit-Mitherausgeber Josef Joffe, den Militärhistoriker Michael Wolffsohn oder den Welt-Kolumnisten Jeffrey Gedmin – ist diese Behauptung schon zum zentralen Baustein ihrer Argumentation geworden, als handele es sich um eine unumstößliche Tatsache. Aber selbst wenn der Hisbollah solche Kriegsverbrechen zuzutrauen sind: Bewiesen sind sie nicht.

Sie alle konnten sich aber durch einen Leserbrief bestätigt fühlen, der in der vergangenen Woche im Spiegel und im Berliner Tagesspiegel erschien. Ein „Dr. Mounir Herzallah“ aus Berlin-Wedding schrieb da, die Hisbollah im Südlibanon habe Schulen und Wohnhäuser auf Bunkern errichtet, in denen Raketen lagerten. „Ein lokaler Scheich erklärte mir lachend, dass die Juden in jedem Fall verlieren, entweder, weil die Raketen auf sie geschossen werden, oder, wenn sie die Lager angriffen, weil sie von der Weltöffentlichkeit verurteilt werden, ob der dann zivilen Toten“, hieß es in dem Brief, der bald per E-Mail im Internet die Runde machte. Inzwischen ist der Mann weltberühmt, und seine Geschichte wird in proisraelischen Blogs rund um den Globus zitiert. Das Dumme ist nur: Es ist völlig zweifelhaft, ob es den Mann überhaupt gibt. Beim Tagesspiegel weiß man immerhin, dass es sich um ein Pseudonym handeln soll, aber Interviews wolle der Mann nicht geben: Er fürchte angeblich um seine Unversehrtheit.

In den gleichen Webblogs, in denen der ominöse „Dr. Mounir Herzallah“ als Kronzeuge für die Menschenverachtung der Hisbollah gefeiert wird, kursierten in der vergangenen Woche auch allerhand Verschwörungstheorien um das Massaker von Kana, das die Weltöffentlichkeit schockiert hatte. Bei dem israelischen Luftangriff auf ein Wohnhaus sollten, so hieß es zunächst von libanesischer Seite, 54 Menschen ums Leben gekommen sein. Grundlage für diese Zahl war eine Liste der örtlichen Behörden, wonach sich 63 Menschen vor dem Bombardement in dem Gebäude aufgehalten haben sollen. Später wurde die Zahl von unabhängigen Stellen auf 28 Tote korrigiert, darunter 19 Kinder, wobei 13 Personen allerdings noch vermisst werden.

Es waren aber nicht die Zahlen, sondern vor allem die Bilder von toten Kindern, die aus dem Schutt des Gebäudes geborgen wurden, die weltweit für Entsetzen sorgten. Und die Authentizität dieser Bilder war es auch, die von proisraelischen Bloggern rund um den Globus prompt in Zweifel gezogen wurde: Sie vermuteten dahinter eine große Hisbollah-Verschwörung, um die Weltöffentlichkeit auf ihre Seite zu ziehen.

So wurde in solchen Blogs und Online-Foren die Frage ventiliert, ob und warum das Gebäude erst einige Zeit nach dem Bombardement eingestürzt sei. Daneben wurde die Vermutung laut, dass sich hinter einem libanesischen Helfer, der den Fotografen einige der toten Kinder vor die Kameras hielt, in Wirklichkeit ein Aktivist der Hisbollah verberge. Das sei doch alles eine Inszenierung der Hisbollah, empörten sich einige besonders überzeugte Medienkritiker, die toten Kinder womöglich aus einem Leichenschauhaus entlehnt: Mit „Hisbollywood“ bezeichneten sie, was sie für ein makaberes Schauspiel hielten.

Makaber und geschmacklos sind aber wohl eher solche Verschwörungstheorien, die derzeit im Internet blühen. Ein Kommentator der Washington Post nannte sie bereits „ein politisch rechtes Äquivalent zu den 9/11-Verschwörungstheorien“. Damals wurde in islamistischen und anderen Blogs und Online-Foren gemutmaßt, der CIA oder der Mossad könne hinter den Terroranschlägen stehen.

Die Mutmaßungen über Kana tauchten in Israel und den USA sogar in seriösen Blättern auf, während sie hierzulande nur von der Bild-Zeitung ernst genommen wurden. Einen empfindlichen Dämpfer erhielten alle Gerüchte aber, als die israelische Armee später einräumte, man habe einen Fehler gemacht, als man das Gebäude bombardierte.

Doch als am Montag bekannt wurde, dass die Fotoagentur Reuters einen ihrer Fotografen in Beirut entlassen habe, bekamen die alten Gerüchte wieder neuen Auftrieb. Zwar wurde der Fotograf nur entlassen, weil er Fotos nachträglich am Computer bearbeitet haben soll, was den Reuters-Richtlinien widerspricht. Doch alle Verschwörungstheoretiker konnten sich wieder einmal bestätigt fühlen: Irgendetwas muss doch dran sein an den eigenen Vorurteilen.