Kampagnen: Emotionen statt Argumente

Eine Studie der Freien Universität Berlin zeigt: Lobbyisten arbeiten mit neuen Strategien und immer mehr Geld

BERLIN taz ■ Robert Lembke fragte einst: „Was bin ich?“ Eine vom Bertelsmann-Konzern angestoßene Medienkampagne verriet in den vergangenen Monaten: „Du bist Deutschland“. In verschiedenen Tageszeitungen war der Leser Papst oder, während der Fußball-WM, Miroslav Klose. Bertelsmann hat sein Ziel erreicht: Die Kampagne war und ist in vieler Munde.

Rudolf Speth, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, beschäftigt sich seit Jahren mit Wirtschaftskampagnen, unter anderem mit „Du bist Deutschland“, der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) oder der Stiftung Marktwirtschaft. Eine der Thesen seiner aktuellen Studie, die von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gesponsort und gestern vorgestellt wurde: Die Zahl der Kampagnen wird in Zukunft deutlich wachsen. Dabei erkennt der Forscher einen neuen Kampagnentypus. Vorbei ist die Zeit, da lediglich Negativbotschaften unters Volk gestreut wurden. Der neue Typus ist anders. Er weckt Emotionen, macht gute Laune und flötet, dass es hierzulande richtig klasse ist. „Du bist Deutschland“ – Stimmungen statt Argumente.

Zudem seien die neuen Kampagnen besser organisiert und hätten zumeist gut gefüllte Kassen, sagt Speth. Die Bereitschaft der Unternehmen, ordentlich Geld in Kampagnen zu stecken, wachse. „Intern glauben die Macher“, sagt der Politikwissenschaftler, „einen Stimmungsumschwung erzeugen zu können beziehungsweise mit ‚Du bist Deutschland‘ einen Umschwung erzeugt zu haben.“

Unternehmen versuchen mittlerweile gezielter Einfluss auf politische Prozesse zu nehmen. Mit Kampagnen sind sie wesentlich flexibler als es Verbände sind. „Die Entscheidungsprozesse in den Unternehmen sind einfach schneller“, sagt Speth. „Deshalb verlieren die Verbände auch an Bedeutung.“ Ein weiterer Vorteil: Dieser Kampagnentypus ist so angelegt, dass die Berieselten nicht merken, wer die Macher sind. „So lassen sich die Botschaften pointierter unter die Menge bringen“, sagt Speth.

Anders arbeitet die Stiftung Marktwirtschaft. Sie verzichtet auf PR und Werbung, sondern versucht, Politiker direkt zu beeinflussen. Durch Lobbyismus oder „Politikberatung“, wie Lobbyisten vornehmer sagen. Dabei versorgt die Stiftung Abgeordnete mit wissenschaftlichen Daten und nützlichen Grafiken zu politischen Themen. Ein aktuelles Beispiel ist der Vorschlag der Stiftung Marktwirtschaft zu einer umfassenden Steuerreform. Von der ersten „Kampagnenwelle“ übrig ist die INSM. Nachdem sich das politische Klima nach der Bundestagswahl verändert hat, versucht sie in der Öffentlichkeit nicht mehr allzu „neoliberal“ dazustehen und verbreitet gute Stimmung.

CHRISTIAN PANSTER