RAUS AUS BERLIN
: Behördenparadies

Das jähe Kriegszittern war unbegründet

Auch wenn ich jetzt in Marburg lebe, bin ich von den Behördengängen, die ich davor in Berlin erleben musste, immer noch schwer geschädigt. Das merkte ich heute Morgen, als ich zum „Stadtbüro“ des beschaulichen hessischen Städtchens radelte und beim Eintreten in die Halle des Einwohnermeldeamtes plötzliche Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) an mir wahrnehmen musste.

Doch das jähe Kriegszittern, das mich erfasste, war unbegründet. Denn während ein Behördengang in Berlin monatelange Vorausplanung verlangt und dem Bürger unweigerlich den Eindruck vermittelt, dass so etwas selbst zu Bismarcks Zeiten sogar schon einmal angenehmer gewesen sein dürfte, erwartet einen in Marburg eine Vorahnung des Paradieses auf Erden.

Es ist Wirklichkeit: Man muss nicht stundenlang in stickigen Räumen warten. Man muss auch keine Angst mehr haben, sich mit den verschiedensten Grippeviren gleichzeitig zu infizieren, weil einen andere Wartende aggressiv anhusten und -niesen. Und wer drangekommen ist, wird bei der Beantragung eines neuen Passes auch nicht sofort angebrüllt: „Watt? Se haben die Bestätijung ihret Vamieters vajessen? Und ihre Jeburtsurkunde haben Se ooch nich dabei? Na, denne können Se gleich nach Hause jehen, junger Mann, und morgen wiedakomm‘!“

Berliner, lest diese Worte und wandert aus! In der Provinz sind die Behörden vorab per Telefon jederzeit erreichbar. Wenn man seine Wartenummer gezogen hat, kommt man gleich dran. Nicht zuletzt gibt es im hessischen Elysium keinen schikanösen Dokumententerror und keine Demütigungen mehr, sondern obendrein ein nettes Dankeschön, nachdem man sofort bekommen hat, was man wollte. Ja, so was gibt es noch! Allerdings nicht in der Hauptstadt. Dort lernt man wohl weiterhin das große Zittern. JAN SÜSELBECK