KOMMENTAR VON THOMAS RUTTIG
: Der Westen trägt zur Zuspitzung in Afghanistan bei

Nicht wenige stellen den Einsatz in Afghanistan in einen religiösen Kontext

Die zehn am Donnerstag ermordeten afghanischen und ausländischen Entwicklungshelfer sind der zugespitzten Kriegslogik in Afghanistan zum Opfer gefallen. Auf der einen Seite, bei den Taliban, wird jeder Ausländer als Christ oder Jude und damit als „Ungläubiger“ pauschalisiert. Von hier aus ist es nicht weit, ihm oder ihr eine Missionstätigkeit zu unterstellen und ihn oder sie, in einem nächsten Schritt, zur Strafe dafür zum Abschuss freizugeben.

Dass dies bei einigen durchaus wider besseres Wissen geschieht, ist zutiefst zynisch. Dem US-Philosophen Samuel Huntington sei Dank können sie den von ihm proklamierten Krieg der Kulturen – beziehungsweise der Religionen – als Selbstrechtfertigung herbeidefinieren. Und das hat bereits Wurzeln geschlagen: Selbst in der meist nicht talibanfreundlichen Bevölkerung gehört die Etikettierung jener, die früher „nur“ „Charidschi“ (Ausländer) waren, als „Kafer“ (Ungläubige) inzwischen zum schlechten Ton.

Der Westen ist an dieser Entwicklung nicht ganz unschuldig. Unter US-Präsident George W. Bush offiziell und auf der persönlichen Ebene bis heute wird die eigene Mission (schon der Begriff!) in Afghanistan von manchem in einem religiösen Kontext gesehen. Man muss dazu nur manche der Soldatenblogs aus Afghanistan lesen. Und meist ist das dann verbunden mit simplifizierten, quasirassistischen Motiven der „Hilfe“ für die armen, „zurückgebliebenen“ Afghanen.

Gerade die USA, in der Eigensicht immer auch Zivilisationsbringer, verhalten sich oft widersprüchlich. Das zeigt sich beispielsweise in der Politik, im Rahmen der Religionsfreiheit auch das Missionieren als Menschenrecht zu verteidigen, selbst wenn es ausgesprochen problematisch ist. Was, wenn dieses Prinzip nationaler Gesetzgebung widerspricht?

In Afghanistan ist das Missionieren immerhin verboten. Und wenn man sich – wenigstens in der Theorie – die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit auf die Fahne geschrieben hat? Wie verträgt sich das dann mit der Existenz von Kreuzen und Kapellen auf dem Gelände so mancher Provinzaufbauteams, die sich immerhin auf afghanischem Territorium befinden? Offenbar wird das noch nicht einmal problematisiert. Und das ist nur ein Beispiel von vielen, bei dem in Afghanistan die praktizierte Politik diametral zu dem ist, was als offizieller Kurs gepredigt wird.