Sie macht es möglich

GESCHÄFTSIDEE Was kann man mit einem Büroraum, einem Telefon und einem Kopierer machen? Zum Beispiel kleine Filme produzieren, die groß rauskommen. Ein Porträt der Kölner Filmproduzentin Bettina Brokemper

■ als Produzentin (Auswahl):2004: „Die syrische Braut“, Regie: Eran Riklis 2005: „Falscher Bekenner“, Regie: Christoph Hochhäusler 2007: „Gegenüber“, Regie: Jan Bonny „2010: „Unter dir die Stadt“, Regie: Christoph Hochhäusler

■ als Koproduzentin (Auswahl):2005: „Manderlay“, Regie: Lars von Trier 2008: „Sturm“, Regie: Hans-Christian Schmid 2009: „Antichrist“, Regie: Lars von Trier 2010: „Bal – Honig“, Regie: Semih Kaplanoglu

VON SVEN VON REDEN

Die Lichtstraße in Köln-Ehrenfeld zieht sich durch ein ehemaliges Industriegebiet, das sich in den letzten Jahren zum angesagten Ausgehviertel entwickelt hat. In alten Lager- und Fabrikhallen tanzt ein studentisches Publikum durch die Nacht, dem die Ringdiskos der Innenstadt zu sehr den Mainstream bedienen.

Die Firma Heimatfilm hat ihre Adresse in der Hausnummer 50, aber nicht wie zu erwarten in einem großzügigen, renovierten Fabrikloft. Der Schreibtisch von Gründerin und Geschäftsführerin Bettina Brokemper steht in einem anonymen Bürobau, der schon bessere Tage gesehen hat. In kleinen Zimmern mit niedrigen Decken sitzen rechts eines schmalen Flurs eine Handvoll Mitarbeiter. Von hier aus scheint der Glamour des roten Teppichs in Cannes Lichtjahre entfernt. Und doch hat keine andere deutsche Produktionsfirma in den letzten Jahren so viele Filme beim wichtigsten Filmfestival der Welt platzieren können.

Eingeladen wurde Brokemper gleich mit der ersten eigenen Langfilm-Produktion ihrer 2003 gegründeten Firma. „Falscher Bekenner“ lief 2005 in der Reihe „Un certain regard“, der wichtigsten Nebensektion des Festivals. Regisseur Christoph Hochhäusler hatte sie Mitte der 90er Jahre an der Hochschule für Fernsehen und Film München kennen gelernt, wo sie ihren Abschluss im Studiengang Produktion und Medienwirtschaft gemacht hat.

Existenzgründungskredit

„Der Beschluss war schnell gefasst, gemeinsam einen Film zu machen“, erinnert sich Hochhäusler. „Allerdings fand sich damals kein Sender, und so haben wir dann auf eigene Faust losgelegt.“ Brokemper finanzierte „Falscher Bekenner“ mit dem Existenzgründungskredit für ihre Firma – Geld also, das eigentlich für Büromöbel und Firmenschilder gedacht war. Der Stolz und die Freude, es mit dem fertigen Film in die Auswahl des A-Festivals geschafft zu haben, ging allerdings schnell in Panik über: „Nach ein paar Tagen wurde mir klar, dass das unglaublich teuer wird“, erzählt sie, hinter ihrem überquellenden Schreibtisch sitzend. „Um in Cannes wahrgenommen zu werden, braucht man einen Presseagenten, eine Filmkopie, Pressematerialien, Poster und so weiter. Dann habe ich ein Budget gemacht und gemerkt, das kostet noch mal mindestens genauso viel wie bis dahin der ganze Film. Da war ich ganz schön deprimiert. Ich hatte auch richtig Angst, die Firma war sowieso schon am Anschlag.“

Heute kann die Enddreißigerin darüber lächeln, denn die Reise an die Cote d’Azur wurde zum Erfolg. Die Kritiken waren gut, gerade in der ausländischen Presse, und „Falscher Bekenner“ fand Vertriebe unter anderem in den USA und Frankreich – bei unseren cinephilen Nachbarn lief er sogar besser im Kino als in Deutschland. Brokempers Geschäftsidee war voll aufgegangen: „Ich habe mir anfangs überlegt, was kann ich mit einem Büro, einem Telefon und einem Kopierer machen? Man muss als Produzent zum einen beweisen, dass man einen Film herstellen kann, zum anderen muss man irgendwie Aufmerksamkeit bekommen. Meine Idee war, ich versuche das über günstig zu produzierende, aber aufsehenerregende Filme.“ Und es gibt keinen besseren Weg, für „kleine“ Filme Aufmerksamkeit zu bekommen, als auf großen Festivals Schlagzeilen zu machen.

Keine Mission für Kunst

Sie spricht von „künstlerischen Produktionen“, wenn es um ihre Filme geht. Den Begriff Arthouse mag sie nicht. In der Tat hat „Falscher Bekenner“ ebenso wie ihr nächster deutscher Cannes-Beitrag „Gegenüber“ (2007) von Jan Bonny wenig zu tun mit der langweiligen Wohlanständigkeit und Vorhersehbarkeit vieler Produktionen, die mit diesem Label werben.

Sie mache Stoffe möglich, die andere nicht durchbekämen, lobt der Regisseur Jan Bonny sie. Doch Brokemper ist weniger auf einer Mission für Filmkunst, stattdessen sieht sie ihre deutschen Produktionen ganz pragmatisch als eine Möglichkeit, „in den Markt zu kommen“ und sich von da aus weiterzuentwickeln. Das heißt: größere Budgets zu haben und mehr Publikum.

Das Leben „neben dem Film“ wird bei ihr durch zwei kleine Kinder bestimmt

Mit größeren Summen hat sie bei internationalen Koproduktionen bereits Erfahrung gesammelt. Schon seit 2001 leitet sie das Kölner Büro der Produktionsfirma Zentropa, die Anfang der 90er Jahre von Lars von Trier und Peter Aalbæk Jensen gegründet wurde. Sie war etwa beteiligt an Thomas Vinterbergs „Dear Wendy“, von Triers „Dogville“, „Manderlay“ und besonders an „Antichrist“, der im Bergischen Land östlich von Köln gedreht wurde.

Bei von Triers neuem Film „Melancholia“, der diesen Sommer in Schweden gedreht wird, war sie an der Finanzierung beteiligt. Warum Zentropa sie ausgesucht hat, weiß sie bis heute nicht genau: „Ich habe einen Anruf bekommen, weil mich wohl irgendwer empfohlen hat. Geoutet hat sich niemand. Zentropa wollte auch, dass ich für sie deutsche Stoffe entwickele, aber das funktioniert nicht mit zwei Firmen. Wie soll man das aufteilen? Mache ich jetzt abends im Bett ein Kästchen, das ist für Zentropa, das für Heimatfilm?“

Wadenbeißerqualität

Sitzt man ihr gegenüber, erstaunt Brokempers Erfolg nicht – zumindest wenn es stimmt, was sie selbst sagt: dass einen guten Produzenten Kommunikationsfähigkeit und die Lust, sich mit anderen auseinanderzusetzen, auszeichnet. Sie redet engagiert, lacht viel, aber man nimmt ihr auch ab, dass sie die „Wadenbeißer“-Qualitäten hat, die sie für Produzenten fordert.

Christoph Hochhäusler stimmt zu: „Was ich an Bettina so schätze ist ihre Unternehmungslust: Sie will wirklich, dass etwas losgeht, dass etwas passiert. Sie ist wirklich keine, die leicht aufgibt.“ Der Regisseur lobt ihre „tolerante Ehrlichkeit“. Sie benenne, was ihr nicht gefällt, könne aber auch das, was sie nicht mag oder versteht, gelten lassen. Mit dem Negativbild vom Produzenten, der den Kreativen überall reinredet, kann sie wenig anfangen. „Im besten Fall ist es so, dass man sich gemeinsam auf eine Vision einigt und sich dann immer wieder daran erinnert. Es ist ja nicht nur so, dass man kein Geld rausrückt oder Dinge verhindert. Stattdessen sagt man: Du, das wird schwierig, wie können wir das denn anders machen? Oder man erlaubt den Kreativen, erst mal rumzuspinnen und sagt dann: Wenn ich das lese, hört sich das an wie sechs Millionen, die werden wir nicht kriegen. Was können wir jetzt machen?“

In Exzentrik und Verrücktheit sieht sie auch die Kraft, die einen Film am Ende außergewöhnlich macht. „Gebändigt“ werden muss niemand. Toleranz hat aber für Brokemper nicht nur da ihre Grenzen, wo sich ein Film wirtschaftlich nicht mehr rechnet, sondern auch wenn die nervlichen Kosten zu hoch sind: „Es gibt Regisseure, wo ich sage, lieber nicht, weil ich mir das nicht zutraue. Was bleibt von deinem Leben noch übrig, wenn du zwei Jahre versuchst, einen sehr schwierigen Menschen in ein vorgegebenes Korsett zu pressen? Es gibt ja auch ein Leben neben dem Film.“

Das Leben „neben dem Film“ wird bei ihr durch zwei kleine Kinder bestimmt. „Manchmal wünsche ich mir, dass der Tag 36 Stunden hat. Kinder machen die Arbeit schwerer und leichter zugleich. In dem Moment, wo ich nach Hause komme, bin ich Mama und mache alles, was Mamas so machen: Ich sorge dafür, dass der Kühlschrank voll ist, ich koche und so weiter. Diese erzwungene Auszeit ermöglicht aber erst, dass man auch mal den Kopf leer hat und dann neue Ideen bekommt. Klar ist das stressig. Das geht aber allen Eltern so, völlig wurscht, welchen Job man macht.“

In Exzentrik und Verrücktheit sieht sie die Kraft, die einen Film am Ende außergewöhnlich macht

Unglücklich in Hollywood

Dass sie für ihre Karriere nicht alles zurückstellt, hat sie schon im Jahr 2000 mit ihrer Entscheidung bewiesen, nach zweieinhalb Jahren in Los Angeles wieder zurückzukommen in ihre Geburtsstadt Köln. Ein Förderstipendium für junge Produzenten hatte ihr ermöglicht, in Hollywood zu arbeiten, unter anderem bei New Line, der Produktionsfirma der „Herr der Ringe“-Filme. „Es hilft mir ja nichts, unter den perfekten Bedingungen zu arbeiten, wenn ich unglücklich bin. Das war zum Schluss in Los Angeles so. Mir war ganz klar, ich kann da nicht leben, Ich konnte mir nicht vorstellen, da eine Familie zu gründen, weil das so eine kranke Stadt ist. Weil ich nicht wollte, dass da meine Kinder groß werden.“

Um nicht bei den vielen verschiedenen Anforderungen auszubrennen, hat Brokemper bei Heimatfilm mittlerweile mit Johannes Rexin einen Partner, der die Herstellungsleitung für internationale Koproduktionen übernimmt – wie etwa für „Bal – Honig“ von Semih Kaplanoglu, der dieses Jahr den Goldenen Bären in Berlin gewann.

Jan Bonny bezeichnet sie als „rheinisches Gemüt“, Brokemper selbst nennt sich „Rheinländerin mit Herz und Seele“. Mit rheinischem Pragmatismus und Ideologieferne wehrt sie auch die Frage ab, warum sie eine der wenigen Frauen auf einem einflussreichen Produzentenposten in Deutschland ist: „Es war lange eine Männerdomäne, aber heute bekommt keiner mehr einen Job, weil er Mann oder Frau ist, glaube ich. Möchte ich glauben.“