„Kirsch gießt Öl ins Feuer“

AUFARBEITUNG Sozialwissenschaftlerin Groß diskutiert über Hintergründe der Flora-Krawalle

■ Professorin für Erziehung und Bildung an der FH Kiel, hat über feministische Strömungen in der Linken promoviert.

taz: Frau Groß, wer trägt die Verantwortung für die Eskalation der Demonstration für die Rote Flora vor Weihnachten?

Melanie Groß: Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, da viele Akteure involviert sind – nicht nur Demonstrierende und PolizistInnen vor Ort, sondern auch die politischen Entscheidungen, die vorangegangene Medienberichterstattung und die ungelösten Konflikte in der Stadt. Aber ich glaube schon, dass die Polizeistrategie nicht dazu beigetragen hat, die Stimmung gelassen zu belassen. Weil die Polizei die noch nicht richtig losgelaufene Demonstration gestoppt hat und dann die Schanze zugemacht hat, so dass man das Gebiet nicht mehr verlassen konnte.

Ihr Mitdiskutant, der Polizeigewerkschafter Gerhard Kirsch, hatte später sogar mit Schutzwaffen-Einsatz gedroht …

Das ist eine hoch problematische Äußerung, die Öl ins Feuer gießt. Es geht nicht darum, dass nüchterne polizeiliche Einschätzungen vorgenommen werden, die man mit einer objektiven Gefährdungslage irgendwie begründen könnte, sondern nach dem 21. Dezember wurde ganz gezielt Stimmung gemacht. Und so würde ich die Äußerung von Herrn Kirsch auch einordnen. Diese Äußerung hat nicht dazu beigetragen die sehr angespannte Stimmung in der Stadt zu lösen. Man sollte nachdenken und fragen was da eigentlich passiert ist und ob das problematische Vorgehen der Polizei mit dazu beigetragen hat. In so einem Klima von Waffeneinsatz zu sprechen, nenne ich Provokation.

Was hätte anders laufen müssen?

Die Polizei kann meiner Meinung nach nicht eine große Gruppe von Demonstrierenden aufstoppen und sie von ihrem Grundrecht nicht Gebrauch machen lassen, weil sie denkt, dass einzelne Personen in der Gruppe gewalttätig werden können.

Was wäre die Alternative?

Auch bei anderen Demonstrationen wird die Strategie verfolgt, dass man einzelne Leute isoliert. Aber was sie getan hat, war eine große Menschenmenge daran zu hindern, zu demonstrieren und damit politischen Protest pauschal zu kriminalisieren. Wenn man so etwas macht, dann erzeugt das natürlich große Wut bei den Demonstrierenden. Und das ist ein Problem.

„Die Stadt, der Protest und die Gewalt – Hintergründe und Perspektiven“. Gespräch mit Melanie Groß, Steffen Jörg (GWA St. Pauli), Gerhard Kirsch (GdP) und Pastor Friedrich Brandi-Hinnrichs: 20 Uhr, Katharinenkirche, Katharinenkirchhof 1