Biller, Esra etc.
: Gegen den Ruin der Literatur

Eigentlich hatte man gedacht, mit dem endgültigen Verbot von Maxim Billers Roman „Esra“ durch den Bundesgerichtshof und der Verfassungsbeschwerde seines Verlages gegen das Urteil hätte es nun sein schlechtes, aber ultimatives Bewenden. Buch tot (auch wenn immer noch Exemplare auf dem Markt zu haben sind), Kunstfreiheit angeschlagen, Autor genauso schwer angeschlagen (keine Taschenbuchauflage, keine Lesetouren).

Es könnte jetzt aber tatsächlich noch viel, viel schlimmer kommen für Maxim Biller: Die beiden Damen, die sich in „Esra“ porträtiert und in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt sahen und so erfolgreich gegen das Buch vorgingen (wer waren die beiden noch mal?), haben noch nicht genug – sie klagen jetzt auf eine Geldentschädigung für ihr vorgeblich erlittenes Leid von mindestens 100.000 Euro, die Maxim Biller und sein Verlag zahlen sollen.

Dass es jedoch nicht schlimmer für Biller kommt, dafür wollen jetzt auch der deutsche PEN, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und der Verband deutscher Schriftsteller sorgen, die sich öffentlich gegen ein Verbot des Buches und für die Niederschlagung dieser Schadenersatzforderung ausgesprochen haben: „100.000 Euro: Das ist eine Summe, welche, wenn er sie zahlen müsste, nicht nur Maxim Biller ruinieren würde. Es wäre der Ruin der Literatur, es wäre der Bankrott der Kunstfreiheit, wenn künftig jeder, der sich in einem Werk der Fiktion wieder zu erkennen glaubte, auf Schadensersatz klagte. Statt der Lektoren wären die Anwälte die ersten Gegenleser, statt um Qualität ginge es nur noch um Unangreifbarkeit. Wer ein Buch veröffentlichte, riskierte den Ruin. Und die Literatur, die wäre der Schädling, welchen man bekämpfen muss. Unter solchen Bedingungen hätten weder ‚Die Leiden des jungen Werthers‘ noch die ‚Buddenbrooks‘ erscheinen können. So weit darf es nicht kommen.“

Diesen Appell unterzeichneten dazu über 100 Autoren, Schauspieler, Verleger und Künstler, von A wie Jakob Arjouni und F wie Wolfgang Ferchl (Piper-Verleger) über K wie Michael Krüger (Hanser-Verleger) und Daniel Kehlmann bis zu S wie Ingo Schulze und Z wie Peter Zadek. Die Solidarität ist also eine erstaunlich große – gerade in Schriftstellerkreisen ist man ja nicht immer einander zugetan, sondern in lebhafter Konkurrenz – wenn auch in dieser Form nur einer symbolischen. Konkreter wird es zugehen, wenn am 9. August der Zivilprozess gegen Biller und seinen Verlag vor dem Münchener Landgericht beginnt. Und wenn das Bundesverfassungsgericht über die eingereichte Verfassungsbeschwerde befindet, was noch für dieses Jahr erwartet wird. Sollte die Beschwerde zugelassen werden, dann zumindest bestehen gute Chancen, dass das Urteil zu „Esra“ noch revidiert wird. GERRIT BARTELS