„Die rechte Gefahr ist real“

INTERVIEW Kita-Betreiber in Mecklenburg-Vorpommern müssen sich von nun an zur Verfassung bekennen. Richtig, findet Rechtsextremismus-Experte Günther Hoffmann: Denn Neonazis strebten in Erzieherberufe

■ 53, berät Kommunen und die Landesregierung in Schwerin zum Thema Rechtsextremismus. Er lebt nahe Anklam.

taz: Herr Hoffmann, wer in Mecklenburg-Vorpommern eine Kita betreiben will, muss nun unter anderem folgenden Satz unterschreiben: „Ich bin bereit, mich jederzeit durch mein gesamtes Verhalten zu der freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen.“ Kann man so Nazis von Kindern fernhalten?

Günther Hoffmann: Zu einem gewissen Teil, ja. Die Protagonisten der Neonaziszene werden sich doch sehr scheuen, so einen Satz zu unterschreiben, weil sie damit ihre braunen Ideale verraten. Das merken Sie auch an den Reaktionen auf den Kita-Erlass. Die NPD, aber auch die sogenannten Freien Kameradschaften fühlen sich massiv getroffen. Der Kita-Bereich sollte eines der Hauptagitationsfelder der Rechtsextremisten werden. Schon seit Jahren gibt es entsprechende Aufrufe.

Anlass für den Erlass waren konkrete Vorfälle. Im Dorf Bartow wollte ein NPD-Mitglied eine Kita übernehmen, in einem anderen Ort wollte die Frau eines NPD-Abgeordneten im Kindergarten „alte Haushaltspraktiken“ vermitteln. Besorgniserregend – aber muss man deshalb gleich von allen ein Bekenntnis zur Verfassung verlangen?

Aus städtischer Sicht mag das übertrieben wirken, aber im ländlichen Raum sind die Angebote zur Kinderbetreuung dünn gesät. Seit einiger Zeit beobachten wir in Mecklenburg-Vorpommern, dass junge Leute aus dem neonazistischen Umfeld Ausbildungen in Erzieherberufen anstreben und sich gezielt auf dem Land um Stellen bewerben. Und einige Kita-Träger sind leider so blauäugig, dass sie nicht merken, mit wem sie es zu tun haben. Der Erlass wird da hoffentlich zu einer Sensibilisierung führen.

Der Verfassungsschutz spricht von 1.360 Rechtsextremisten in Mecklenburg-Vorpommern, davon 400 NPDler. So ein Häuflein soll die Demokratie unterwandern können?

Die tatsächliche Gefahr kommt daher, dass bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein das demokratische Verständnis nicht sehr weit ausgeprägt ist. Die Zahlen des Verfassungsschutzes zur Größe der rechtsextremen Szene sagen dazu nichts aus. Die Ergebnisse bei Wahlen schon eher. Wir haben in vielen Orten zweistellige Ergebnisse für die NPD, und da steht nicht unbedingt nur eine Eins vor dem Komma.

■ Zum 1. August ist in Mecklenburg-Vorpommern ein Erlass von Sozialministerin Manuela Schwesig (SPD) in Kraft getreten. Demnach müssen die mehr als 1.000 Kita-Träger für die Grundgesetzestreue ihrer Mitarbeiter bürgen. Wollen freie Träger eine neue Kita eröffnen, müssen alle Erzieher eine Erklärung unterschreiben, in der sie sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen und versichern, nicht Mitglied in einer Partei „mit einer der Verfassungsordnung widersprechenden Zielsetzung“ zu sein. Hintergrund sind Versuche von NPD-Mitgliedern, Kitas zu unterwandern. Der Erlass ist deutschlandweit einzigartig. (wos)

Während manche den Kita-Erlass als Zeichen des wehrhaften Staates loben, fühlen sich andere an den Radikalenerlass aus den 70ern erinnert, der Linksextremisten aus dem Staatsdienst fernhalten sollte.

Ach was, das kann man nicht miteinander vergleichen. Dieser Kita-Erlass wird endlich zu der nötigen Auseinandersetzung mit der Problematik des Rechtsextremismus im Erziehungsbereich führen. Denn die Gefahr ist real. Über den Umweg eines angeblichen sozialen Engagements versuchen Neonazis, die Akzeptanz ihrer Ideologie zu steigern. Das dürfen wir nicht zulassen.INTERVIEW: WOLF SCHMIDT