Abschied vom Modell des Lotsen im Gesundheitssystem?

GESUNDHEIT Im Hausarztstreit geht es um Geld, aber auch um Ideen für eine bessere Versorgung

Facharzt Philipp Rösler steht im Verdacht, sich besonders für Fachärzte stark zu machen

KASSEL taz | Fragt man Rolf Hoberg nach dem Streit um die Hausarztverträge, spricht er von zwei Welten. Hoberg ist Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg. In seiner Welt gibt es seit eineinhalb Jahren ein Modell, das den Hausarzt zum Lotsen im Gesundheitssystem machen soll. Partner sind Hausärzteverband und Ärztevereinigung Medi. „Wir sind zufrieden“, betont Hoberg. „Wir halten den Vertrag für strategisch richtig.“

Wie bei jedem Hausarztvertrag können sich die Versicherten der AOK Baden-Württemberg aussuchen, ob sie teilnehmen wollen oder nicht. Überzeugt sie das Angebot, sagen sie zu, ihren Hausarzt ein Jahr lang zum ersten Ansprechpartner zu machen und Fachärzte nur mit Überweisung zu konsultieren. Nur für diese Patienten kann der Hausarzt Honorare mit der AOK abrechnen, die über denen liegen, die er von der Kassenärztlichen Vereinigung bekäme. Diesen Patienten muss er auch besonderen Service bieten.

Hoberg sagt, seine Kasse strebe ein finanziell ausbalanciertes Modell an. Höhere Honorare würden durch Einsparungen bei Arzneiausgaben aufgewogen – die teilnehmenden Ärzte verordneten preiswerte Generika. Langfristig hofft die Kasse auch, teure Klinikaufenthalte durch intensivere Betreuung vermeiden zu können.

Die andere Welt liegt auch im Krankenkassen-Universum. Was dort passiert, lässt sich seit über einem Jahr beobachten: Vorstandschefs ärgern sich darüber, dass sie Hausarztverträge abschließen müssen – und dass meist nur der Hausärzteverband als Partner infrage kommt. Sie argumentieren, Hausarztversorgung bringe nicht die gewünschte Qualität und rechne sich nicht. Seit Mitte 2009 müsste eigentlich flächendeckend jede Kasse das Lotsenmodell anbieten. Das ist aber nicht der Fall. Und jetzt hat die Bundesregierung beschlossen, wogegen der Hausärzteverband rebelliert: Die verhandelbaren Honorare sollen gedeckelt werden und nicht höher ausfallen als über die Kassenärztliche Vereinigung (KV).

Für den Hausärzteverband wäre das eine krasse Niederlage. Seit Jahren prangert er an, das KV-System werde von Fachärzten dominiert, seine Klientel sei dort benachteiligt. Mit der Pflicht zum Hausärztevertrag hatte der Verband nun erstmals die Chance, flächendeckend eigene Verträge auszuhandeln. Die geplante Honorarbegrenzung aber macht die künftig uninteressanter. Ohnehin hat der Hausärzteverband ein großes Ziel noch nicht erreicht – nämlich Geld von Fachärzten an Hausärzte umzuverteilen. Zwar dürfen die Kassen der KV für jeden Patienten im Hausarztvertrag Geld abziehen. Die Summe fehlt aber später nicht im Geldtopf aller Kassenärzte, sondern wird dem Teil der Hausärzte abgezogen.

„Man könnte fast vermuten, dass Herr Rösler als Facharzt für Augenheilkunde sich besonders für Fachärzte stark macht“, ärgerte sich Dieter Conrad, der Chef des Hessischen Hausärzteverbandes, Mitte Juli über die neuen Pläne. Kassenchef Hoberg kann den Politikwechsel nicht nachvollziehen. „Wir halten ihn auch für gefährlich“, sagt er: „Weil damit die Anerkennung für die Hausärzte in Frage gestellt wird.“ Das könne Nachwuchs für die Praxen abschrecken.

KATJA SCHMIDT