Mit bezaubernder Eiseskälte

Claude Chabrols mittlerweile 67. Film heißt „Geheime Staatsaffären“ – ein Lehrstück rund um den Skandal um Elf Aquitaine mit Isabelle Huppert als Richterin

Gespräche am Telefon, von denen man als Nebenstehender nur die Hälfte mitbekommt, können mitunter verräterischer sein als die komplette Kommunikation. „Ja. Nein. Vielleicht. Ich weiß nicht“, mehr brauchen wir von Humeau (François Berléand) nicht zu hören, um zu kapieren: Da steht einer vor dem Abgrund und ahnt es noch nicht einmal. In drei Schritten von der Gewissheit zur Ratlosigkeit, mit einem Knopfdruck von der Chefetage abwärts in die Hände der bereits wartenden Polizei.

Gerade noch Präsident eines international agierenden Industrieunternehmens, das mit staatlichen Geldern Geschäfte in afrikanischen Entwicklungsländern ankurbelt, muss Humeau in der nächsten Szene schon vor skeptisch dreinblickenden Vollzugsbeamten die Hosen runterlassen. Statt in den Urlaub geht er ins Gefängnis, während seine Kollegen beim Diner im Nobelrestaurant sich gegenseitig versichern: Alles kein Problem, nach diesem Bauernopfer wird sich die Lage wieder rasch beruhigen.

Man weiß auch bereits, wer Humeau in seine missliche Lage gebracht hat: eine Ermittlungsrichterin, die so unnachgiebig ist, dass sie unter dem Spitznamen „Piranha“ fingiert. Ihr wahrer Name allerdings ist um einiges sprechender: Jeanne Charmant-Killman. Isabelle Huppert spielt diese charmante Killerin mit einer bezaubernden Eiseskälte, die hinter jedem Lächeln einen Dolch verbirgt. Ihre Gegner verfolgt sie mit der Beharrlichkeit eines Raubtiers, das noch sein Zögern vor dem Angriff genießt. Bald stellt sich heraus: Humeau ist nur der Anfang. Unnachgiebig stöbert die Richterin weiter, aber je mehr sie über die Machenschaften hinter den Kulissen erfährt, desto mehr gerät sie in Gefahr, sich an ihrer eigenen gewachsenen Macht zu berauschen.

Die Handlung basiert lose auf wahren Ereignissen rund um den Staatskonzern Elf Aquitaine, einer Affäre um Bestechungsgelder, hochrangige Politiker und Vorteilsnahmen, die in den 1990er-Jahren in Frankreich für Schlagzeilen sorgte. Chabrol, der weder an Geschichtsunterricht noch an Charakterstudien interessiert ist, macht daraus ein Lehrstück.

Die Dramaturgie wird auf ein einfaches Muster reduziert: Schuss und Gegenschuss, die eine Seite macht erst ihren Zug, die andere dann eine Ausweichbewegung. Die Richterin lädt vor, verhört, demütigt erst subtil, dann offen, bekommt neue Namen geliefert. Nach einer neuen Verhörrunde ändert sich manchmal die Zusammensetzung des Männerzirkels, das Bild aber bleibt dasselbe: Herren in Anzügen mit teuren Zigarren, die zuerst ihren Durchhaltewillen und danach den Geschmack des Cognacs loben. Am Ende kommt es, wie es kommen muss. Das System der „autokaritativen Einrichtungen“, der Schmiergeldzahlungen und Selbstbereicherungen auf Kosten des Staates bewährt sich, einige bleiben auf der Strecke, alles bleibt beim Alten. Der Aufstieg einer Frau in einer Männergesellschaft war von trügerischer und kurzer Dauer.

Claude Chabrols mittlerweile 67. Film beruht auf ziemlich genau zwei guten Ideen. Die eine war, Isabelle Huppert die Hauptrolle zu geben. Die andere steckt im französischen Filmtitel: „L’Ivresse du pouvoir“. Macht und Korruption verbindet ein einfacher Zirkelschluss: Macht korrumpiert jeden, der mit ihr in Berührung kommt. Die prominenten roten Handschuhe, die die Richterin Charmant-Killman kokett und selbstbewusst zur Schau trägt, sind ein überdeutliches Sinnbild dafür, ebenso wie ihre Flirts mit dem aalglatten und intriganten Sibaud (Patrick Bruel), der erst die entscheidenden Hinweise lieferte, um dann selbst aufs Korn genommen zu werden.

Leider beschränkt sich Chabrol nicht auf diese beiden Ideen, sondern will auf einmal alles Mögliche erzählen, unter anderem davon, dass die Karriere einer Frau nur auf Kosten ihres Mannes geht. So, wie die Richterin die von ihr Verfolgten auch in deren Privatleben nicht verschont, bleibt auch ihr eigenes Leben nicht unberührt. Während sie wie eine Besessene arbeitet, entfremdet sie sich zusehends von ihrem Mann.

Das ist ärgerlich – weniger wegen des privaten Glücks der Charmant-Killmans als für den Zuschauer, denn durch solche Ablenkungen wirkt der Film streckenweise unkonzentriert, und was eine böse Abrechnung mit dem System hätte werden können, ist ein lediglich passabler Film geworden, der trotz der wie immer sehenswerten Huppert über Handwerk kaum hinausreicht. DIETMAR KAMMERER

„Geheime Staatsaffären“. Regie: Claude Chabrol. Mit Isabelle Huppert, François Berléand, Patrick Bruel u. a. Frankreich 2005, 110 Minuten