Die heilige Jeanne der Gerichtshöfe

„Geheime Staatsaffären“ von Claude Chabrol

Sie genießt die Macht! Das drückt Isabelle Huppert in der Rolle einer Untersuchungsrichterin mit jeder Geste, mit jedem Detail ihrer Kleidung, jeder kleinen Demütigung der Angeklagten aus. Sogar ihr Name Jeanne Charmant-Kilmant hat Signalwirkung: er bringt besser ihre Mischung aus Killerinstinkt und perfekten bürgerlichen Umgangsformen auf den Punkt als ihr vergleichsweise plumper Spitzname „Piranha“. Davon, wie ihre Position sie verändert, wie sie klug die Fallen umgeht, die ihre Gegner im Justizapparat ihr stellen, dafür aber blind in andere tappt, die sie sich selber gestellt hat, handelt diese Charakterstudie von Claude Chabrol, der nun schon seit 65 Filmen die französische Bourgeoisie seziert. Darum ist der Originaltitel „L¥ivresse du pouvoir“, also „Die Trunkenheit der Macht“ viel treffender als der deutsche Verleihtitel, der eher einen Politthriller im Stil von Costa-Gavras verspricht. Dabei scheint „Geheime Staatsaffären“ auf den ersten Blick ja auch genau dies zu sein. Er zeichnet detailgenau die Staatsaffäre um die Öl-Gesellschaft Elf-Aquitäne nach, bei der eine Handvoll Manager während Mitterands zweiter Amtszeit Hunderte von Millionen Euro in die eigenen Taschen wirtschafteten, und deren Ausläufer mit der Leuna-Äffäre bis nach Deutschland spürbar waren. Vorbild für die Protagonistin ist die Untersuchungsrichterin Eva Joly, die sich auch prompt in der französischen Öffentlichkeit über diese Parallelen beklagte. Jeder französische Zeitungsleser erkennt etwa das Original hinter dem Manager Humeau, mit dessen Verhaftung der Film beginnt. Und dennoch ist dies keine Enthüllungsgeschichte, in der offengelegt wird, wie korrupt das System und wie gierig die Herrschenden sind. All das wird auch erzählt, aber eher nebenbei und ohne, dass es Chabrol wirklich zu interessieren scheint: das weiß man doch schließlich schon alles! Aber wie eine Frau in einer Position ganz oben in der Hierarchie der Justiz gegen diese alteingesessenen Mächtigen des Landes angeht, dabei zwar äußerlich unbestechlich bleibt, aber innerlich dann doch den Versuchungen der Macht zu erliegen droht, das ist eine Geschichte, die für Chabrol wie geschaffen ist. Dessen letzte Filme waren meist reine Routinearbeiten, denen es gar nicht gut tat, dass er zunehmend Familienmitglieder beschäftigte, die dann für die Musik oder das Drehbuch verantwortlich waren, und in Nebenrollen auch vor der Kamera auftauchten. Vielleicht sollte er mal einen Film über seinen eigenen Nepotismus drehen, aber im Grunde hat er dies ja auch mit „Geheime Staatsaffären“ gerade gemacht, denn dieser ist so authentisch aus der Innensicht eines Machtgefüges heraus inszeniert, dass sich der Verdacht aufdringt, dass Chabrol hier auch von sich selber erzählt. Isabelle Huppert ist ja schon lange sein filmisches alter ego, ihm verdankt sie einige ihrer schönsten Rollen, und diese heilige Jeanne von den Gerichtshöfen zählt eindeutig dazu. Dabei behandelt sie die reichen alten Herren zum Teil so arrogant und herablassend, dass man mit diesen Mitleid haben muss. Wenn sich etwa Francois Bérleand in der Rolle des Humeau ständig nervös den Bart kratzt, dann ist von Anfang an klar, dass er als Bauernopfer keine Chance hat. Wenn sie andere, besonders überhebliche Firmenchefs erlegt, kann man auch ein wenig zusammen mit ihr den Triumph auskosten, nur um dann zu merken, wie schal er schmeckt, und dass sie dem System gegenüber letztlich doch nur verlieren kann. Chabrol und Huppert halten die Figur immer auf Abstand, und so ist diesauch ein kalter Film, bei dem der Zuschauer nie dazu eingeladen wird, wirklich Anteil zu nehmen. Die Untersuchungsrichterin ist eine extrem komplexe Filmfigur, aber sympathisch wird sie uns nie. Aber gibt es überhaupt irgendeine sympathische Figur in einem Film von Claude Chabrol?

Wilfried Hippen