Die Ablehnung des Einsatzes wird größer werden

BUNDESREGIERUNG Grüne und Linkspartei sehen sich durch die Wikileaks-Enthüllungen in ihren Vorwürfen bestätigt. Die Regierung verliere an Glaubwürdigkeit

„Anscheinend weiß die Bundesregierung nicht, was die Amerikaner im Norden Afghanistans machen“

AGNIESZKA MALCZAK, GRÜNE

BERLIN taz | Grüne und Linkspartei haben die Afghanistanstrategie der Bundesregierung massiv kritisiert. Sie sehen sich durch die Wikileaks-Veröffentlichungen bestätigt. Grünen-Verteidigungsexpertin Agnieszka Malczak sagte am Montag der taz, sie sei „zutiefst schockiert“. „Anscheinend weiß unsere Bundesregierung nicht, was die Amerikaner im Norden genau machen.“

Die Dokumente belegen, dass die US-Elitetruppe Task Force 373, die Taliban-Anführer liquidiert, mit 300 Soldaten auch im Einsatzbereich der Bundeswehr in Nordafghanistan aktiv ist. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums wollte sich zu der Tätigkeit dieser Einheit am Montag nicht näher äußern, sagte aber, es gebe „Koordinationsabsprachen“ mit ihr, damit man sich bei Operationen nicht gegenseitig in die Quere komme. Malczak bemängelt, dass der Verteidigungsausschuss des Bundestages über diese Absprachen nicht informiert wurde.

Die Bundesregierung habe 2009 vor dem Bundestag behauptet, die Task Force 373 befasse sich vorwiegend mit „Aufklärung und Festsetzung“, sagte Paul Schäfer, der verteidigungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Linkspartei. Durch die nun veröffentlichten Berichte verliere die Bundesregierung weiter an Glaubwürdigkeit. Berichte über gezielte Tötungen, mehr zivile Opfer und erstarkenden Widerstand würden die Ablehnung des Einsatzes in der Bevölkerung verstärken.

Außenminister Westerwelle (FDP) sagte, die Berichte müssten genau ausgewertet werden. „Ich sehe mich jedenfalls in meiner Haltung bestärkt, dass ich die Lage in Afghanistan nie beschönigt habe, immer gesagt habe, das ist eine außerordentlich ernste Situation dort.“ Dennoch halte er den Einsatz für notwendig.

Aus dem Verteidigungsministerium hieß es, die Dokumente würden geprüft. Neue Erkenntnisse enthielten sie aus Sicht des Ministeriums nicht, aber man wolle herausfinden, ob durch die Veröffentlichung auch deutsche Sicherheitsinteressen beeinträchtigt seien. Zu der Aussage der US-Regierung, die Berichte spiegelten nicht mehr die aktuelle Situation wider, sagte Malczak: „Obama hat manches davon wieder zurückgenommen, aber gezielte Tötungen durch Spezialkräfte, viele zivile Opfer und eine Verletzung rechtsstaatlicher Normen gab es auch danach noch.“ Der Bericht verdeutliche noch einmal die dramatische Lage. Er bestätige, dass die offensive Bekämpfung von Aufständischen eine falsche Strategie sei und dass die Sicherheitslage immer prekärer werde. „Entweder hat die Bundesregierung keine Ahnung von der Realität in Afghanistan, oder sie möchte sie verschleiern.“ Daher werde derzeit überlegt, im Verteidigungsausschuss eine Sondersitzung einzuberufen.

Die Linke möchte nun von der Bundesregierung wissen, ob die Bundeswehr „direkt oder indirekt“ mit den gezielten Tötungen in Nordafghanistan zu tun hatte, sagte Schäfer. Die Grünen fordern, dass die offensive Bekämpfung von Aufständischen eingestellt wird. „Dass es im Norden so massiv ist, wundert mich selbst“, sagt Malczak. Sie frage sich, wie unter diesen Bedingungen gewährleistet sei, dass das deutsche Kommando noch die Hoheit hat. KARIN SCHÄDLER