Zuckerbrot für Merkel und Migranten

Nach dem Integrationsgipfel tauschen die Kanzlerin und ihre Gäste Süßigkeiten aus. Merkel will, dass sich Migranten in Deutschland „zu Hause fühlen“. Türkische Gemeinde erfreut: „Das Wort Sanktion ist nicht gefallen“

VON ALKE WIERTH
UND LUKAS WALLRAFF

Am Abend zuvor hatte sie noch mit George Bush eine Wildsau verspeist, gestern bekam Angela Merkel einen Nachtisch – von den Vertretern der Migranten aus ganz Deutschland, die zum Integrationsgipfel ins Kanzleramt kamen. Auf die Frage, was sie bei dem ersten Treffen dieser Art besonders beeindruckt habe, sagte Merkel: „Es gab türkische Süßigkeiten, die uns überreicht wurden.“ Aber nicht nur deshalb zeigte sich die Kanzlerin hinterher „außerordentlich zufrieden“.

Es habe ein hohes Maß an Übereinstimmung geherrscht, erklärte Merkel. Die über 80 Teilnehmer aus Politik und Gesellschaft, „darunter ein Drittel mit Migrationshintergrund“, hätten sich darauf verständigt, gemeinsame Arbeitsgruppen einzurichten und bis zum Sommer 2007 einen Nationalen Integrationsplan zu beschließen. Darin wolle man für das Zusammenleben „Verabredungen treffen“.

Als wichtigstes Anliegen nannte Merkel, wie zu erwarten, dass möglichst alle Migranten Deutsch lernen sollten, möglichst schon im Kindergarten. Das Regierungsmotto dazu lautet „Fördern und Fordern“. Merkel betonte gestern eindeutig das Fördern und verteilte verbales Zuckerbrot. „Wir wollen, dass sie sich hier zu Hause fühlen“, sagte sie über die Migranten. Während CSU-Chef Edmund Stoiber und andere Unionspolitiker rund um den Gipfel schärfere Sanktionen für Deutschkursverweigerer verlangten, betonte Merkel, man habe „heute weniger über Konsequenzen gesprochen“, sondern „erst einmal über Angebote“. Man müsse doch „ganz ehrlich sein“, sagte die CDU-Chefin, bisher gebe es noch gar keine flächendeckenden Angebote für Integrationskurse. Und überhaupt: Sanktionen „würden sich sowieso nur auf einen sehr kleinen Kreis beschränken“. Bei 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund müsse man den „Schwerpunkt auf andere Bereiche“ lenken, erklärte Merkel.

Kein Wunder, dass sich auch Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde Deutschland (TGD), mit dem Verlauf des Gipfels zufrieden zeigte. Alle Politiker hätten sich bemüht, das Thema sachlich anzugehen: „Das Wort ‚Sanktion‘ ist nicht gefallen“, sagte Kolat der taz. Die Atmosphäre sei gut gewesen, die Botschaft der Kanzlerin sehr positiv: „Wir werden ernst genommen, man will mit uns zusammenarbeiten.“ Künftig solle man auf gegenseitige Schuldzuweisungen verzichten und lieber „gemeinsam und selbstkritisch an die Probleme herangehen“.

Weniger begeistert war die Erziehungswissenschaftlerin Havva Engin, Juniorprofessorin für Sprachförderung an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Zu knapp sei die Zeit gewesen, kritisiert sie, zu wenig seien die Vertreter der Migranten zu Wort gekommen. Zwar hätten die Reden der Politiker Bereitschaft zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema Integration erkennen lassen – „sogar die des bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber“, sagt Engin. „Ich hätte mir statt allgemeiner Floskeln aber konkrete Zielsetzungen gewünscht“, so Engin. „Beispielsweise den Vorsatz, den Anteil der Schulabbrecher unter den den Migranten in den nächsten zehn Jahren auf unter 10 Prozent zu senken, oder die Zahl derjenigen, die die Hochschulreife erlangen, zu verdreifachen.“ Immerhin böten die sechs Arbeitsgruppen, die zu verschiedenen Themen eingerichtet werden sollen, die Chance, über solche praktischen Ziele zu reden.

Auch Izabela Ebertowska, Vorsitzende des Polnischen Sozialrats in Berlin, zeigte sich überwiegend enttäuscht. Die Migrantenvertreter seien kaum zu Wort gekommen: „Wir halten uns immer sehr kurz, damit alle Wort zu kommen – Politiker tun das offenbar nicht.“ Allein für Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) fand die Vorsitzende des Sozialrates positive Worte: „Er hat die Vertreter der Migranten aufgefordert, bei der Entwicklung politischer Konzepte gegen Arbeitslosigkeit, für Wirtschaftswachstum mitzuwirken“ – eine solche Aufforderung zur Beteiligung sei ein gutes Signal.

Die Staatsministerin für Integration, Maria Böhmer (CDU), nannte als wichtigste Voraussetzung für Integration „Bildung, Bildung, Bildung“. Dass der Bund dafür gerade alle Kompetenzen abgegeben hat, ließ sie lieber unerwähnt.