Sex geht immer und reicht nie

Einfach führt am weitesten: Mit Zeilen wie „I’d rather fuck who I want than kill who I’m told to“ will die Berliner Künstlerin Peaches auf ihrem dritten Album „Impeach My Bush“ ihren Underground-Status zu einem Massenerfolg ausbauen

Peaches ist politischer und musikalischer geworden: „Ich hoffe, die Popkultur dieses Mal sehr viel einfacher zu infiltrieren“

VON THOMAS WINKLER

Die Sache mit dem Sex ist simpel. Der kann einfach nicht langweilig werden. „Niemals“, versichert Merrill Nisker, und die muss es wissen. Denn unter dem Decknamen Peaches macht sie Musik mit unmissverständlich eindeutigen Texten. Darauf hat sie eine Karriere gegründet: auf böse bollernde Beats, pornografische Aufforderungen, die Ästhetik der St. Pauli-Nachrichten und vor allem auf das nimmermüde Interesse der Öffentlichkeit am Geschlechtlichen.

Nun, anlässlich ihres dritten Albums „Impeach My Bush“ (XL-Recordings) soll dieses Interesse in eine neue Runde gehen. Erste Manifestationen dieses Interesses nimmt sie bereits huldvoll zur Kenntnis – bei einigen mit Interviews und Photosessions voll gepackten Tagen. Vor jedem Shooting wechselt sie das Outfit. Mal Leder, mal Spitze, mal Pink, mal Schwarz. Peaches ist ein Profi. Als ein solcher weiß sie: Selbst Sex verkauft sich nicht ewig. Jedenfalls nicht Sex allein. Weswegen die mittlerweile 39-Jährige für „Impeach My Bush“ zwei Maßnahmen ergriffen hat: Erst einmal hat sie, der Albumtitel verrät es, ihre schon immer vorhandenen politischen Anliegen eindeutiger formuliert. Zweitens hat sie versucht, musikalischer zu werden. Beides ist ihr gelungen. Nun wartet sie auf das Ergebnis: „Ich hoffe darauf“, sagt sie, „die Popkultur dieses Mal sehr viel einfacher zu infiltrieren.“

Die Frage allerdings bleibt, ob der Untergrund-Status wirklich zum Massenerfolg ausbaubar sein wird. In den vergangenen sechs Jahren hat Peaches mit den beiden Alben „The Teaches of Peaches“ (2000) und „Fatherfucker“ (2004) und vor allem ihren Auftritten etwas Einzigartiges geschaffen: eine Figur, die alle pornografischen Klischees rekapituliert, ohne sie bloßzustellen, und dabei doch die Geschlechterverhältnisse auf den Kopf stellt. Ihre Inszenierungen auf der Bühne mit Dildos und Sexspielzeug, knappen Bikinis und viel nackter Haut, künstlichem Blut und echtem Schweiß stellten das Selbstverständnis von Voyeuren bloß, ohne sie zu verschrecken. Die Projektionsfläche Peaches reflektierte sowohl männliche und weibliche Fantasien. Ihre Kunst war es, die Geschlechter in ihrer Person zu versöhnen und die Balance zu finden zwischen Ängsten und Sehnsüchten, zwischen Karikatur und Kunstwerk. So löste ausgerechnet eine bisexuelle Frau das ewige Versprechen des Rock ’n’ Roll ein. Und das so erfolgreich, dass ein Popstar wie Pink persönlich anrief, um sich als Fan zu outen und sie als Gast-Rapperin zu gewinnen. Auch Madonna soll hin und wieder Peaches hören beim Workout, Karl Lagerfeld hat sie fotografiert. Sie überzeugte im Vorprogramm von Marilyn Manson, und selbst das Management von Britney Spears meldete sich, um einen Song einzukaufen. Peaches lehnte dankend ab und fragt sich bis heute, „wie die auf mich gekommen sind. Heute würde ich so ein Angebot vielleicht sogar annehmen.“

Damals aber war daran nicht zu denken. Denn so kunstvoll konstruiert ihr Konzept war, die Musik unterstützte es ausschließlich mit effektiver Simplizität. Merrill Nisker arbeitete noch als Schullehrerin im heimischen Kanada, als sie die Roland MC 505 Groovebox und die ihr innewohnende Macht entdeckte. Um die Rhythmusmaschine zu programmieren, brauchte man keine großartige musikalische Vorbildung (die Nisker durchaus hatte), sondern nur eine Idee: Die lässt sich auf die griffige Formel „One Woman, One Machine, One Stage“ bringen. Fortan jagte die 505 brutale Beats durch die Boxen und Niskers Raps hinterher, die zwar nicht sonderlich anspruchsvoll gereimt waren, aber aus Pornofilm-Dialogen hätten stammen können. Peaches war geboren, wurde vom Berliner Indie-Label Kitty-Yo verpflichtet, zog deswegen 2000 mit ihren Landsleuten Gonzalez und Taylor Savy, mit denen sie in einer Band namens Feedom Rock gespielt hatte, in die deutsche Hauptstadt und ist seitdem Berlins berühmteste Kanadierin.

Sechs Jahre später hat Gonzalez die Stadt gen Paris verlassen, und in Berlin wird, sagt Peaches, „viel gebaut“. Aber immer noch lebt sie gern hier, nicht nur weil sie ihren „boyfriend“ hier hat, sondern auch „weil Berlin so abgewrackt ist. Sie kriegen es einfach nicht sauber hier.“ So rau und ungehobelt wie das Berlin, in dem Peaches lebt, klangen stets auch ihre Beats, die sie immer im Alleingang aufnahm und produzierte. Ein böser großer Sexbeat, ein brutal elektronischer Glam-Rock, der ganz bewusst, wenn auch ohne Gitarren, die prägenden Vorbilder von Peaches zitierte: Joan Jett und Iggy Pop, mit dem sie für „Fatherfucker“ ein Duett aufnahm.

Doch nun ist das Prinzip „One Woman, One Machine“, sagt Peaches, zwar nicht in eine Sackgasse geraten, aber doch von ihr „ziemlich weit getrieben“ worden. So weit jedenfalls, dass „das Publikum längst nicht mehr so schockiert“ reagiert wie früher. Eine Erweiterung war nötig. Die 505 wurde eingemottet, Peaches ging nach Los Angeles, mietete sich ein Studio mit Swimming Pool und den Produzenten Mickey Petralia, der sich mit Alben von Beck oder den Eels einen Namen gemacht hat. „Die Produktionen meiner ersten Platten waren so starr und steif“, erklärt sie, „dass viele meine Musik als Kunstprojekt abgetan haben. Diesmal kann niemand behaupten, es wäre handwerklich nicht gut gemacht. Ich wollte schon immer so klingen, aber wenn man nur eine einzige Maschine benutzt, wird es halt auf die Dauer etwas eintönig.“

Für „Impeach My Bush“ kamen erstmals vornehmlich Instrumente zum Einsatz, darunter „ein echter, hart zuschlagender Schlagzeuger“. Gekommen ins Studio nach Los Angeles sind auch einige Gäste wie Josh Homme von den Queens of the Stone Age oder die kanadische Landsfrau Feist. Und nicht zuletzt Joan Jett höchstpersönlich. Die legendäre Gitarristin der Runaways feierte ihren 47. Geburtstag im Studio von Peaches und die unterstützte ihr Idol bei ihrer Aufnahme für „You Love It“, indem sie ihren goldenen Bikini anlegte und den „Arsch gegen das Studiofenster drückte“. Entstanden sind erstmals Songs, die den Namen auch verdienen. Songs, die sich zwar ihren Punk-Impetus erhalten haben, aber ihn doch im Zaum halten. Songs, die womöglich sogar im Radio gespielt werden könnten, wenn die Redakteure nicht so genau auf die Texte hören sollten. Denn „Impeach My Bush“ ist voll großartig primitivem Hard Rock, schmucklosem Electro-Stomp und schillerndem Funk. „Ich will die Leute zum Tanzen bringen: ich will, dass sie ausrasten.“

Auch textlich ist eine Weiterentwicklung unüberhörbar. „Anfangs ging es mir nur darum, etwas zu sagen“, erzählt sie, „egal wie: Es musste raus. Aber ich glaube, ich habe erst einmal ein Zeichen gesetzt, jetzt kann ich ins Detail gehen.“ So begibt sich Peaches zwar weiter tapfer in den verbalen Stellungskrieg, wo sich „bam bam“ reimt auf „ram the damn“, wo „Senf“, „Eiercreme“ und „Marmelade“ in Strömen fließen und „two guys for every girl“ vorrätig sind. Aber längst hat sie sich entfernt von reinen Slogans und dem schlichten Aneinanderreihen pornografischen Vokabulars. Auch ihre Besessenheit mit der in Nordamerika tabuisierten Achselbehaarung hat deutlich nachgelassen. Stattdessen erzählt sie nun sogar Geschichten. Schmutzige Geschichten zwar, aber Geschichten. Ob sie jemals daran gedacht habe, das Drehbuch zu einem Porno zu schreiben? „Vielleicht ein Porno-Musical?“, amüsiert sie sich, „das wäre interessant. Wir lassen John Waters Regie führen und bringen es dann an den Broadway.“

Aber man soll sich nicht täuschen lassen: Peaches, das ist mehr als Hemmungslosigkeit und die Lust an der Provokation. „Impeach My Bush“ wird eröffnet von „Fuck Or Kill“. Der Song ist der einzige ausdrücklich politische des ganzen Albums, aber dafür der mit dem kürzesten Text. Seine Aussage lässt sich reduzieren auf die Zeile: „I’d rather fuck who I want than kill who I’m told to“. Man mag das simplifizierend nennen, aber effektiver wurde wohl selten ein Einwand gegen die Politik der Bush-Regierung formuliert. In dieser Zeile kulminiert auch das Grundprinzip von Peaches: „Wer bisher dachte, ich würde nur über Sex singen, sollte endgültig mitkriegen, dass ich Machtverhältnisse und Autoritäten in Frage stelle, dass ich Geschlechterrollen und sexuelles Rollenverhalten hinterfrage. Dies ist sicherlich mein politischstes Album, aber es ist immer noch Peaches. Meine politische Agenda ist nun mal gebaut auf sexuelle Fragen und die sich daraus ergebenden Machtfragen.“

Diese Aufgabe fordert die ganze Frau. Und die kann es nicht erwarten, wieder aufzutreten. „Ich muss bald zurück auf die Bühne, die zweieinhalb Monate im Studio waren gar nicht gut für meine körperliche Verfassung“, lächelt sie, „sonst halten mich die Auftritte fit.“ Die sollen zum ersten Mal mit einer richtigen Live-Band stattfinden. Noch allerdings sieht Peaches nicht aus, als hätte sie es nötig, in Form zu kommen. Nicht allzu groß ist sie, ihr Körper so drahtig wie ihre Haare, deren Locken eher abstehen denn anmutig zu fallen. Zäh wirkt sie, gerüstet für die Aufgabe, die Geschlechterverhältnisse umzukrempeln. Es ist ein dreckiger Job, aber eine Frau muss ihn übernehmen. Ob sie allzu bald erfolgreich sein wird, darf bezweifelt werden. Aber: langweilig wird es sicher nicht.