Kinder, ihr wart halbgeil alright

The Who spielten in der Arena. Dass sich mit über sechzig noch rocken lässt, wissen wir. Roger Daltrey und Pete Townshend schickten aber weder Musik noch Publikum zur Frischzellenkur, sondern führten Gassenhauer aus ihrer 40-jährigen Historie auf

VON GERRIT BARTELS

Es braucht lange, sehr lange, bis der Moment kommt, an dem man es an diesem heißen Mittwochabend in der noch heißeren Treptower Arena nicht bereut, dieses Konzert von The Who besucht zu haben. Es ist der Moment, da Pete Townshend, Roger Daltrey und ihre fünf anderen Mannen (darunter Townshends Bruder Simon) zur Zugabe schreiten und Townshend zur Einstimmung „Blowin’ In The Wind“ vor sich hin knatscht. Das bekommt er wirklich gut hin, besser als die wenigen Gesangsparts in den eigenen Songs, und dann sagt er, wie sehr er die weirden Lyrics von Dylan schätze, wie schlecht dieser aber Gitarre spiele und wie gut er dafür aber singen könne.

Townshend meint das zwar ironisch, fast herablassend, aber irgendwie auch bewundernd, und überhaupt: Einer wie Pete Townshend darf das ja, der ist Zeit- und Altersgenosse, der war mal mit seiner Band auf Augenhöhe mit Bob Dylan, wenn nicht sogar für eine kurze Zeit in den Sechziger- und frühen Siebzigerjahren mal wichtiger, größer, knackender und lauter sowieso.

Die Gegenwart für The Who sieht anders aus – eher grau, was die Haarpracht ihrer in die Jahre gekommenen Fans anbelangt. Und auch nicht viel lichter, wenn es um die Größe ihres Publikums geht: Kein gutes Zeichen war die Rückverlegung des Konzerts von der Wuhlheide in die halb so kleine Arena. Die ist dann am Mittwochabend immerhin gut gefüllt, bei weitem aber nicht ausverkauft. Regelmäßig aufflammende Streitigkeiten zwischen Daltrey und Townshend haben eben regelmäßiges Touren verhindert – da lässt die Erinnerung wohl viele ihrer alten Fans schon mal im Stich. Und: The Who sind vor allem höchst unproduktiv. Mit frischen Songs vielleicht nochmal ein neueres und jüngeres Publikum für sich zu interessieren, danach schien ihnen nie der Sinn zu stehen.

So ist es ein Ereignis, als Pete Townshend in der Arena, „dieser Scheißhalle“, wie er einmal ins Publikum grölt, einen brandneuen Song ankündigt. Das ist seit geschätzten zwanzig Jahren der erste, und er entfacht nicht gerade ein Feuer in der Halle. Vielleicht braucht der Song ja mehr Zeit, um sich zu entwickeln, vielleicht muss man ihn mehrmals hören. Der ganze große Rest ist bei ordentlicher Akustik mal mehr, mal weniger glorreiche The-Who-Historie, beginnend mit „I Can’t Explain“ über den ersten wirklichen Höhepunkt „Who Are You“ bis zu „The Kids Are Alright“ oder „Baba O’Riley“.

Daltrey und Townshend machen einen fitten und austrainierten Eindruck. Beide sporten ausdauernd ihre jahrzehntelang einstudierten Gesten, lassen das Mikro wie ein Lasso kreisen, drehen die Spielarme wie Windmühlenflügel, mühen sich korrekt, wobei Daltrey hin und wieder und gerade bei „Baba O’Riley“ einige Problemchen mit seiner Stimme hat.

Der Auftritt ist eine Mischung aus Kaffeefahrt, Best-of-Nummernrevue und Rockopa-Oper. Diese Mischung funktioniert, wenn die wirklichen Who-Gassenhauer erklingen. Aber sie ermüdet schnell, wenn nur halbbekannte, semigute Songs auf dem Programm stehen und man merkt, dass das Opernhafte allein durch lange Instrumentalpassagen und Rocksoli zustande kommt. So dauert „My Generation“ etwa gefühlte zehn Minuten und das sowieso schon längliche „Won’t Get Fooled Again“ gefühlte sechzehn.

Am Ende lassen sich Townshend und Daltrey nicht lange bitten, als die Zugabenrufe erklingen: Das Publikum muht kräftig seinen Schlachtruf „Who-Who-Who“. Oje-oje-oje. Die Zugaben sind ein Spiegelbild des Konzerts: Gassenhauer, von denen der letzte, „See me, feel me“ auf mindestens fünfzehn Minuten ausgedehnt wird. Und danach wissen alle: The Who sind zwar nicht mehr eine richtig geile, aber immer noch eine richtig halbgeile Band.