Der Freund

AUS DEN HAAG MAREKE ADEN

Am International Criminal Court wird er wohl nicht mehr auftreten, das ist ihm eine Nummer zu klein. Der Gerichtshof in Den Haag, der eines Tages Kriegsverbrecher aus aller Welt am laufenden Band verurteilen soll, bringt sonst Glanz in die Augen von Menschenrechtlern und Juristen. Michaïl Wladimiroff aber sagt nur: Die verhandeln da dann doch nur kleine Rebellen. „Kongo, Uganda, das ist es doch schon. Im Moment denke ich, das sind keine besonders interessanten Fälle.“

Es ist nämlich so, dass sich der niederländische Anwalt eher auf Präsidenten auf der Anklagebank spezialisiert hat. Slobodan Milošević, Charles Taylor und Saddam Hussein, ja, die schon, um die Strafverfahren gegen dieser Herren kümmert er sich, quasi als Hobby. Aber wenn es nicht ums Ganze, ums Mächtigste oder ums Höchste geht, dann verdient der 61-Jährige lieber richtig Geld.

Amicus Curiae, Freund des Gerichts, war er zum Beispiel im Verfahren gegen den ehemaligen Präsidenten Milošević. Eigentlich sind das Experten, die Richter in einer bestimmten Frage beraten. Am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien jedoch wird ein Spezialist für die Rechte des Angeklagten so genannt. Ein Kunstgriff für all die, die sich selbst verteidigen wollen – ohne Anwalt. Slobodan Milošević wollte sich unbedingt selbst verteidigen, um der Welt zu zeigen, wer seiner Meinung nach auf die Anklagebank gehört hätte: Nato-Generäle nämlich.

Nun war Milošević Politiker, vorher Chef eines Belgrader Gasunternehmens. Strafverteidiger war er nie. Er hat es dennoch schnell gelernt in dem Prozess, der im Februar 2002 mit einem weltweit im Fernsehen übertragenen Auftritt Milošević’ begann: „Alles Fälschungen! Alles Lügen!“, rief er da noch etwas allgemein.

„Milošević hatte es schwer“

„Er hatte es schwer am Anfang, aber er hat unglaublich schnell gemerkt, was er machen muss“, sagt Wladimiroff heute. Er weiß das, weil er darauf angewiesen war, genau aufzupassen, wenn Milošević gegnerische Zeugen ins Kreuzverhör nahm. Denn auch Wladimiroff hätte Widersprüche in den Aussagen herauskitzeln können, um Milošević zu helfen. Doch mit jedem Wort, das er sprach, hätte er Milošević seinen Auftritt verderben können. Das durfte er nicht. Anders als ein richtiger Verteidiger, der seinem Mandanten in die Parade fahren kann, bevor der sich um Kopf und Kragen redet, musste Wladimiroff als Amicus Curiae dem Diktator folgen, auch wenn der sich mit seiner Verteidigungsstrategie völlig verrannte.

„Für seine Anhänger zu Hause sah das toll aus, wenn er eine Frau aus einem kleinen bosnischen Dorf so lange ins Kreuzverhör nahm, bis sie zugab, dass sie sich nicht sicher ist, ob der Panzer, der am soundsovielten in ihr Dorf kam, tatsächlich von der serbischen Armee war“, erklärt Wladimiroff sein Dilemma als Beinahe-Verteidiger mit einem hypothetischen Beispiel. Genutzt hat all die Mühe aber nichts. Denn drei Wochen zuvor schon hatte ein serbischer Militär ausgesagt, er sei an eben diesem Tag mit seinem Panzer in genau dem Dorf gewesen. Nur Zeit vergeudet hat Milošević also, als er die Bäuerin einschüchterte, und Zeit war kostbar für ihn. Irgendwann hat das Gericht Milošević eine Frist zu seiner eigenen Verteidigung gesetzt, damit das schon vier Jahre währende Verfahren irgendwann zu Ende gehe. 120 Verhandlungstage hat er bekommen. Vor Ablauf dieser Verlängerung ist Milošević am 11. März in der Untersuchungshaft gestorben.

Wladimiroff hat den Charakter des Serben vor dessen Tod studiert. Denn durch die verquere Logik von Milošević, nach der er sich lieber selbst verteidigte, hatte sein Anwalt viel Zeit, ihn zu beobachten. Vor ein paar Jahren hat er sich einmal in einem Interview dazu geäußert, was er von Milošević hält. Das hat dem gar nicht gefallen. „Ein Überlebenskünstler“, hat Wladimiroff seither nur noch gesagt, jemand, der sich extrem schnell anpasst. „Ich verstehe jetzt, wie er sich in Belgrad so lange an der Macht halten konnte. Er wusste immer, was gut für ihn war und wo die Schwächen der anderen lagen.“

Irgendwann wurde das aber langweilig, Milošević war ausreichend analysiert. Wladimiroffs Zeit als Amicus endete. Das Recht gab ohnehin nichts Neues mehr her. Das hatte er schon im Fall Duško Tadić kennen gelernt, 1996, dem ersten Fall vor dem Haager Gericht. „Kennen gelernt“ ist untertrieben – es war auch seine Kreation. Denn in diesem ersten internationalen Strafverfahren seit den Nürnberger Prozessen war Wladimiroff nicht nur Amicus, sondern ein richtiger Verteidiger. Weil die Juristen also Rechtsgeschichte schrieben und weil alle glaubten, es werde ihr einziger Fall bleiben – die Staatschefs Tudjman und Milošević waren noch an der Macht und schützten ihre Kriegsverbrecher –, fochten sie die Prozessregeln mit Akribie aus.

Das fing damit an, dass Michaïl Wladimiroff die Zuständigkeit des Gerichts anzweifelte. Die amerikanische Regierung aber hatte ein starkes Interesse, dass der Gerichtshof weiterarbeiten kann. Denn anders als den Ständigen Strafgerichtshof, der einmal in Den Haag arbeiten soll und den sie ablehnt, unterstützt sie das Jugoslawientribunal mit viel Geld und Personal. Prompt bekam Wladimiroff also einen Schriftsatz mit hunderten von Seiten auf den Schreibtisch. „Der gesamte Sachverstand, den die Vereinigten Staaten zu bieten hatten, war darin“, sagt er, „dabei bin ich doch nur so ein kleiner Anwalt in den Niederlanden.“ Er zeigt dabei flach mit der Hand über den Tisch seiner Haager Kanzlei. Einige Zentimeter – ein Ärgernis für die Weltmacht.

Amerika hat ihn umgekehrt auch geärgert. Zum Beispiel damit, dass das US-Prozessrecht im Haager Tribunal fast eins zu eins übernommen wurde. Danach müssen die Verteidiger Beweise über die Unschuld ihres Mandanten selbst einsammeln. In Boston oder Philadelphia mag es angehen, dass ein Anwalt mal in den Vorort fährt und sich den Tatort anschaut oder den Lebenslauf des Hauptbelastungszeugen auf dunkle Punkte überprüft. Aber Bosnien ist von der Kanzlei des Herrn Wladimiroff anderthalbtausend Kilometer entfernt. Er hat sich trotzdem aufgemacht, um in der neuen Republik Srpska nach Beweisen zu suchen. Hat an die Tür einer Polizeistation geklopft und um Informationen gebeten. Was ist denn das für ein Typ? – so ungefähr hätten die bosnischen Serben dort reagiert. Schriftliche Anfragen wurden nicht beantwortet. Nur der Nachname, sein Vater ist Russe, hat ihm ein bisschen geholfen – bis die Serben merkten, dass Wladimiroff ein Westler ist.

Eigentlich ist er ja Wirtschaftsanwalt, vertritt niederländische Großunternehmen in Strafsachen. Jemandem mit derart silbern glitzerndem Haar und einem solch perfekt sitzenden Anzug würde man ohne Umschweife das Schicksal eines Konzerns in die Hände legen. Wenn man mit ihm in seinem edlen Den Haager Büro unter dem wuchtigen Kronleuchter in seiner imposanten Rechtsbibliothek spricht, kann man sich schwer vorstellen, dass er wie ein Privatdetektiv auf dem Balkan durch Dörfer gestapft ist und versucht hat, Beweisstücke zu sammeln.

Er selbst sieht darin offensichtlich nichts Besonderes, kein einziges Mal flackert so etwas wie Abenteuerlust in seinen Augen auf. Nein, es war das Recht, das ihm diese Reise abverlangt hat. Da ist er eben losgefahren.

Auch über seine Recherche 1997 in Ruanda spricht er wie über einen kniffligen Fall des Wirtschaftsrechts. Denn auch Alfred Musema hat er vertreten. Der ruandische Teefabrikant, halb Hutu, halb Tutsi, soll sich am Völkermord beteiligt haben. Als Wladimiroff vor Ort in der Teefabrik nachforschte, war am Tag zuvor ein Vertreter der Anklage aufgetaucht und hatte – und nur das findet er erwähnenswert – alle Leute in genau der Reihenfolge befragt, die er für seine Interviews vorgesehen hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte über die Gerichtsakten offenbar Wind von Wladimiroffs Suche nach Entlastungsbeweisen bekommen. „Da war klar“, sagt er, „dass solche Ermittlungen vertraulich mit dem Gericht vereinbart werden müssen. So wurde es danach gehandhabt.“

Saddam ertragen lernen

Nachdem er in einem dritten großen internationalen Tribunal, dem von Sierra Leone, 2003 noch einmal zum Anwalt eines Expräsidenten, nämlich Charles Taylor, berufen worden war, reichte es ihm dann erst mal. „Man muss bedenken, dass man pro Stunde etwa 400 Dollar weniger verdient als sonst.“ 110 Dollar bekommen die Anwälte pro Stunde, wenn sie vor internationalen Gerichtshöfen auftreten. „Beschwerlich“ nennt Wladimiroff das. Also machte er weiter als Wirtschaftsanwalt in Holland, kam auch mal auf die Top-Ten-Liste der erfolgreichsten Anwälte des Landes, verschwand wieder von ihr, lehrte Strafrecht an der Uni.

Nur vor kurzem hat er sich noch mal in die Niederungen des internationalen Rechts begeben. Saddam Hussein, wieder ein ehemaliger Staatschef, soll im Irak gerichtet werden. Gesucht wurde ein Mann, der sich mit so etwas auskennt und die Richter ausbildet. Wladimiroff sagte zu. In verschiedenen europäischen Ländern traf er sich mit irakischen Juristen und informierte sie über den internationalen Straftatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit – „damit haben sich im Irak vorher ja nicht so viele Juristen beschäftigt“ –, aber auch über die Körpersprache, die ein unparteiischer Richter beherrschen muss. Dass der erste Vorsitzende Muhammad al-Amin am ersten Verhandlungstag ganz ruhig blieb, als Saddam auf die schlichte Frage nach seinem Namen zurückblaffte: „Sie sind Iraker und Sie kennen mich“, das haben wir also aller Wahrscheinlichkeit Michaïl Wladimiroff zu verdanken.

Eine interessante Aufgabe für ihn als Experten. Auch wenn das Verfahren gegen den Exdiktator als unfair kritisiert wird und UN-Generalsekretär Kofi Annan alle Juristen am Haager Tribunal angewiesen hat, ihr Fachwissen nicht zur Verfügung zu stellen – Saddam Hussein droht die Todesstrafe. „Ich habe die Regeln nicht gemacht“, sagt Wladimiroff dazu nur. Und warum hat er dann nicht Saddam Husseins Verteidiger ausgebildet? Hätte er gern gemacht, sagt er, aber aus irgendwelchen Gründen wollten die, dass ihre Schulungen im Irak abgehalten werden. In dieses gefährliche Land würde er aber nicht reisen. So weit geht das Interesse für sein Hobby dann doch nicht: „No way.“