Kopftuch-Urteil erzürnt Ministerin

Die Berliner Ressortchefin Schavan zeigt sich „verwundert“ über den Stuttgarter Richterspruch zugunsten einer muslimischen Lehrerin – und muss sich wegen der Schelte ihrerseits „mangelnde Kenntnis der Verfassungsgrundsätze“ vorwerfen lassen

VON COSIMA SCHMITT

Die Frau passt nicht ins Klischee. Sie sieht nicht aus wie eine Ultrareligiöse, die ihre Weltanschauung auch dann plakativ nach außen trägt, wenn sie vor einer Klasse kleiner Kinder steht. Doris Graber, Muslimin und Lehrerin, trägt ihr Kopftuch lose ums Haar gewickelt. Hals und Nacken lässt sie unbedeckt. Ihre Kopftracht erinnert weniger an islamische Kleidernormen als an ein modisches Accessoire – oder den Versuch einer Kahlköpfigen, die Glatze zu verbergen.

Doch dieses Tuch, das so harmlos daherkommt, hat Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) gründlich das Wochenende verdorben. Als Kultusministerin in Baden-Württemberg wollte Schavan ein Zeichen setzen. Sie wollte muslimische Lehrerinnen per Landesschulgesetz zwingen, ohne Kopftuch zu unterrichten. Genau das aber hat am Freitag das Stuttgarter Verwaltungsgericht als nicht statthaft zurückgewiesen. Doris Graber darf weiter im Kopftuch vor ihre Schüler treten. Da es Nonnen in Baden-Württemberg erlaubt ist, in Ordenstracht an staatlichen Schulen zu unterrichten, dürfe man einer Muslima religiös motivierte Kleidung nicht verbieten, argumentierten die Richter. Denn das verstoße gegen den Grundsatz, alle Religionen gleich zu behandeln.

Ministerin Schavan sieht das anders. Sie sei „verwundert“ über das Urteil, sagte sie dem Spiegel. Das Kopftuch sei „ein Symbol für die Unterdrückung der Frau“ und somit nicht vereinbar mit dem Grundgesetz. Die Worte waren kaum ausgesprochen, da meldete sich die Kritik der Kritik: Grünen-Politiker Volker Beck bescheinigte Schavan gestern „Uneinsichtigkeit, Dickschädeligkeit und mangelnde Kenntnis unserer Verfassungsgrundsätze“. Das Schulgesetz der CDU-Politikerin sei ein „christlicher Kreuzzug gegen Muslima mit Kopftuch“ gewesen und verstoße das Gebot der weltanschaulichen Neutralität.

Der Fall Doris Graber begann im Jahr 2000. Damals wies das Oberschulamt die Lehrerin an, in der Schule ihr Kopftuch abzulegen. Graber protestierte, trug weiterhin das Tuch und zog vor Gericht. Aus Sicht der Lehrerin benannten die Beamten Probleme, die im Alltag gar nicht existierten.

Seit zehn Jahren habe das Kopftuch an der Schule nicht für Aufregung gesorgt, sagte die Lehrerin vor Gericht. Vielmehr sei sie für ihre Schüler, von denen sechs von zehn aus Ausländerfamilien stammten, eine kompetente Ansprechpartnerin für Fragen des muslimischen Glaubens. Sie bekunde mit dem Kopftuch keine politische oder weltanschauliche Überzeugung, es stelle auch keine Gefahr für den Schulfrieden dar.

Eine Einschätzung, die ihr Schulleiter Ralf Hermann teilt. Es habe bislang keine Probleme geben, auch die Eltern hätten sich nicht am Kopftuch gestört. Graber unterrichtet seit 1976 an der Grund- und Hauptschule im Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstatt. 1984 trat sie zum Islam über. Seit 1995 trägt sie auch im Unterricht ein Kopftuch.

Die neue Debatte berührt nicht nur die alte Grundsatzfrage, ob ein Kopftuch einzig ein religiöses Symbol oder – wie Schavan es sieht – automatisch auch ein Bekenntnis zu einer bestimmten Lebensweise und Weltanschauung sei. Es setzt auch die Regierung in Stuttgart unter Druck, ihren Sonderweg zu beenden. Schon 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt, ein Verbot des Kopftuchs sei nur dann statthaft, wenn eine gesetzliche Grundlage existiere – und wenn alle Religionen gleich behandelt würden. Trotz dieses Votums hatte Schavan ins Landesschulgesetz einen Vorzug für christliche Symbole eingebaut. Dieses Messen mit zweierlei Maß ist nun zumindest im Fall Graber nicht haltbar. Eine Berufung gegen sein Urteil ließ das Stuttgarter Gericht nicht zu.