Wo selbst der Pfarrer ein Genosse ist

KULTURSTANDORT In Kleinmachnow sorgen Genossen dafür, dass man für die Kultur nicht unbedingt nach Berlin pendeln muss – Kino und Theater, das alles gibt es mit den Neuen Kammerspielen auch im Ort

In Berlin funktioniere ein solches Genossenschaftsmodell nicht, sagt Geschäftsführerin Carolin Huder: Es gebe zu viele Freizeitoptionen

VON PAVEL LOKSHIN

Es ist kalt im alten Kinosaal, und die drei Dutzend Besucher haben ihre Winterjacken gleich anbehalten. Die Neuen Kammerspiele in Kleinmachnow zeigen Aki Kaurismäkis „Tatjana“, ein Roadmovie über finnische Männer, russische Frauen – und Wodka. Den gibt es dann an der Bar auch für die Zuschauer. „Den Kinosaal kriegen wir eigentlich schon wärmer, wir haben diesmal nicht vorgeheizt“, entschuldigt sich Carolin Huder. „Aber heute passt das ja.“

Seit einem Jahr wird das 1938 erbaute Veranstaltungshaus von einer Genossenschaft betrieben, Huder hat sie mitbegründet. Aus den Kammerspielen wurden die Neuen Kammerspiele. Mit ihnen wollen die Genossen endlich einen Kulturstandort in der 20.000-Einwohner-Gemeinde am südwestlichen Stadtrand von Berlin etablieren. Programmkino, Theater, Café – für das alles sollen die Kleinmachnower nicht mehr in die Großstadt pendeln müssen.

Nach der Wende liefen in den Kammerspielen Hollywoodfilme. In den letzten zehn Jahren dann wechselten die Betreiber des Hauses – die Gemeinde, ein Trägerverein, auch der Eigentümer. Im September 2012 gab dieser schließlich auf, das Haus sollte geschlossen werden. Da war Carolin Huder mit der Idee der Genossenschaft auf den Plan getreten und sie konnte die Gemeinde schließlich von ihrer Idee überzeugen.

Jugendweihe statt Weihnachtsmarkt

Während zu DDR-Zeiten in Kleinmachnow, gleich an der innerdeutschen Grenze, besonders linientreue Bürger angesiedelt wurden, leben heute hier viele Politiker und Journalisten, Ärzte und Anwälte – und viele junge Familien, die den Berliner Innenstadtbezirken entwachsen oder aus Zehlendorf zugezogen sind. Am Rathausmarkt eröffnet bald ein Biosupermarkt. Die Plätze für die Weihnachtsfeier in der evangelischen Kirche, erzählt Huder, müssten inzwischen verlost werden. Es gebe zu viele Interessenten. Aber in den Neuen Kammerspielen werden Jugendweihen abgehalten. Ein DDR-Relikt? Huder verneint, es gehe um eine humanistische Tradition aus dem 19. Jahrhundert.

Neue Bevölkerungsschichten, neue Bedürfnisse. Auf der Bühne der Neuen Kammerspiele sind Veranstaltungen gefragt, die auch in Berlin funktionieren. Bei der Lesung des Satirikers und ehemaligen Titanic-Chefredakteurs Martin Sonneborn im November waren alle 350 Plätze ausverkauft. Und wer sich gern an den DDR-Kulturbetrieb erinnert, kommt auch nicht zu kurz: ein Lustspiel mit der Ost-Fernsehlegende Herbert Köfer in der Hauptrolle war gut besucht. Trotzdem kämpfen die Genossen mit finanziellen Problemen. Die neue Technik wie der kürzlich installierte digitale Projektor ist alles andere als billig, ganz zu schweigen von der notwendigen Sanierung des denkmalgeschützten Hauses.

Für Instandsetzung und Betrieb des Hauses versprach die Gemeinde 400.000 Euro – unter einer Voraussetzung: Innerhalb von zwei Jahren mussten 200 Genossenschaftsanteile à 250 Euro verkauft werden. Der Plan: mit dem Geld der Gemeinde und der Genossen das Haus nach und nach zu modernisieren, bei laufendem Betrieb. Und die notwendige 50.000-Euro-Marke haben die Genossen bereits in einem Jahr geknackt. „Selbst der Pfarrer ist Genosse“, sagt Huder. Der Zuspruch der Kleinmachnower für die Genossenschaft hat Huder überrascht. Früher nannte man das Planübererfüllung. In Berlin, meint sie, hätte so etwas nicht funktioniert. Zwar seien die Publikumswünsche ähnlich, aber es gebe zu viele Freizeitoptionen. „Die ganze Szene ist anders“, sagt Huder. Sie weiß, wovon sie spricht – sie ist Mitgeschäftsführerin des Heimathafens Neukölln, auf den das Modell Genossenschaft jedenfalls nicht übertragbar sei.

Die Kleinmachnower Kulturgenossen identifizieren sich mit ihren Kammerspielen: Für viele ist es mit dem finanziellen Beitrag nicht getan, sie wollen sich auch im Tagesgeschäft engagieren, so wie die Grünen-Gemeinderätin Andrea Schwarzkopf. Als Genossin ist sie auf Raumausstatter vor Ort zugegangen und hat eine Patenaktion für die Renovierung der denkmalgeschützten Saalbestuhlung organisiert. Den Aufwand nimmt sie gern in Kauf: „Das Haus hätte man doch schon längst abgerissen, wäre es nicht denkmalgeschützt.“ Richard Masche, Vorsitzender des Genossenschafts-Aufsichtsrats, stimmt ihr zu. Jetzt gehe es um behutsame Modernisierung. Denn die „Bröselromantik“ der Nachwendezeit soll erhalten bleiben.

■ Im Netz: neuekammerspiele.de