Die Kriegsenklave Zepa wird Ökoprojekt

BALKANKRIEG In der Nähe von Srebrenica bauen die Menschen in der ehemaligen Enklave Zepa an einer neuen Zukunft. Mit Bioprodukten

AUS ZEPA ERICH RATHFELDER

Der dichte Wald schirmt die schmale Straße in Richtung Zepa von der Sommerhitze ab. Wildblumen verengen die einspurige, frisch geteerte Fahrbahn, die sich an tiefen Abgründen entlangschlängelt. Beiderseits eines reißenden Flusses türmen sich steile Felsformationen auf. Ankunft im Tal von Zepa, einer bosniakisch-muslimischen Enklave im Osten von Bosnien und Herzegowina, in der serbischen Teilrepublik Republika Srpska.

Das Klima hier ist mild, der Boden fruchtbar. Blumen wachsen überall, frisch gesetzte Obstbäume reihen sich aneinander. Das erste Haus, das am Straßenrand auftaucht, ist eine Ruine – ein Überbleibsel der damaligen Kämpfe und der furchtbaren Ereignisse vom Sommer 1995.

Am 4. Juni 1992 wollten mehrere hundert serbisch-bosnische Soldaten mit Panzern das Gebiet „ethnisch säubern“, das heißt die muslimischen Bewohner wie in den umliegenden Gemeinden mit Gewalt und Terror vertreiben. Sie gerieten in einen Hinterhalt der Verteidiger. Die warfen Baumstämme und Steine von einem Berghang oberhalb der schmalen Straße auf die Soldaten. Der führende Panzer konnte nicht mehr vor und zurück. 42 Serben starben im Kugelhagel der Bosniaken. Bis 1995 beschränkten sich die Serben auf Artillerieangriffe.

1995 kam die Rache. Nachdem die serbischen Truppen am 11. Juli das kaum 30 Kilometer entfernte Srebrenica eingenommen und dabei über 8.372 muslimische Jungen und Männer massakriert hatten, wandten sie sich gegen Zepa, das 4.000 Einwohner zählte und 18.000 Flüchtlinge aufgenommen hatte. Die Verteidiger hatten keine Chance, die serbischen Truppen kamen von allen Seiten, die bosniakischen Männer versuchten sich in die Republik Serbien durchzuschlagen, um dem sicheren Tod zu entgehen – oder sich in den Wäldern zu verstecken. Hunderte wurden aufgespürt und getötet.

Das zweite Haus, das in Sichtweite kommt, ist schon wieder aufgebaut, ein junges Paar arbeitet in einem Gemüsegarten, Kinder spielen in der Sonne. Weiter führt der Weg vorbei an zerstörten und renovierten Häusern.

Plötzlich taucht ein Parkplatz mit Baumaschinen auf. Gegenüber steht ein nagelneues Fabrikgebäude. Hazim Stitkovac begrüßt die seltenen Besucher. Er ist der Sohn eines Bauunternehmers, der kürzlich die Straße nach Zepa auf eigene Kosten erneuern ließ.

Nach der Flucht und einem langjährigen Aufenthalt in Großbritannien ist die Familie zurückgekehrt – wie rund 1.000 weitere ehemalige Bewohner Zepas. Der knapp 30-jährige Hazim will nicht mehr nur an die Vergangenheit denken. „Wir müssen in die Zukunft sehen, wir Rückkehrer wollen Zepa wieder aufbauen“, sagt er und schwärmt von seinem Projekt. „Wir werden hier rein ökologische Produkte herstellen. Der Wald filtert die Luft, hier gibt es kein Gift, wir werden Obst und Gemüse hier verarbeiten, zu Marmelade, Fruchtsäften oder Ajvar.“

Er führt die mit nagelneuen Maschinen ausgestattete Fabrikhalle vor. „Noch ist es zu früh zu ernten, aber bald wird die Produktion anlaufen.“ Proben stapeln sich im Kühlhaus der „Fabrika Zdrave Hrane“ (Fabrik für gesunde Lebensmittel). „In Wien wurde unseren Produkten das höchste Gütesiegel verliehen.“ Zehntausende Apfelbäume mussten erst wieder gesetzt werden. „Die Leute bringen ihre alten Obsthaine wieder in Ordnung .“ 20 Leute würden jetzt eingestellt, die Obstbauern bekämen eine Perspektive, schwärmt der Juniorchef.

Die Straße führt hinunter ins Tal zum Zentrum der Siedlung. Eine Moschee gibt es hier und eine neue Grundschule. Manche der Häuser sind renoviert, an einer Ruine macht sich ein Mann mittleren Alters zu schaffen. Er will mit seiner Familie wieder hier leben, hofft auf Arbeit in der neu gegründeten Fischzucht am südlichen Talende.

Das Zentrum der Streusiedlung Zepa wird überragt durch eine mittelalterliche Burganlage. Junge Leute aus Sarajevo wandern hinunter zur historischen Brücke über den klaren, reißenden Fluss, die Mehmed Pascha Sukolovic Ende des 15. Jahrhunderts bauen ließ, von dem gleichen Baumeister, der die Brücke bei Visegrad geschaffen hat. Das erläutert der Hobbyhistoriker Saban Kulovic. Jetzt sitzt Saban in seinem Garten und breitet seine Bücher, die er über die Ereignisse 1992–1995 geschrieben hat, auf einem Tisch aus. Er hat alles säuberlich dokumentiert, Hunderte von Zeugen befragt, einzelne Schicksale dargestellt. Ein Massaker wie in Srebrenica habe es in Zepa nicht gegeben, sagt er.

446 Menschen sind hier dennoch ums Leben gekommen. Als am 26. Juli 1995 bosnisch-serbische Truppen einmarschierten, wurden die Frauen und Kinder mit Bussen nach Kakanj und Zenica in die bosniakische Zone gebracht. Zepa war tot. Doch heute beginnt es wieder zu leben.