With Bob on our side

Bob Dylan tröstet trauernde englische Fußballfans mit einem wunderbaren Auftritt im Gelsenkirchener Amphitheater. Die Stimme ist kraftvoll, die Songauswahl ungewöhnlich. Das heftige „All Along the Watchtower“ als letzte Zugabe entlässt das euphorisierte Publikum in einen neuen Morgen

AUS GELSENKIRCHENHOLGER PAULER

Gelsenkirchen? „It‘s a shame“, sagte ein Mitvierziger, den ich auf der stickigen Busfahrt zum Amphitheater traf. Das weinrote T-Shirt mit den „Three Lions“ auf der Brust outete ihn als Fan der englischen Nationalmannschaft. Er hatte am Sonntagabend das Ausscheiden seiner Mannschaft bei der WM immer noch nicht verdaut. „10 heros and a clown“ prangte auf der Titelseite des daily mirrors. „Clown“ Wayne Rooney hatte mit seinem Platzverweis sein Team ins hoffnungslose Elfmeterschießen gegen Portugal geschickt. Wie immer versagten den englischen Profis die Nerven. Zur Krisenbewältigung hatten sich mehrere Dutzend Anhänger das Konzert von Bob Dylan ausgesucht. Wenige hundert Meter vom „Ort der Schande“ entfernt. Das Ticket, das ich ihm für den halben Preis angeboten hatte, lehnte der englische Kollege ab. Später saß er zwei Reihen vor mir.

Dylan muss die Anwesenheit der englischen Fans gespürt haben. Die Set-List war auf das Seelenleben der leidgeprüften Anhänger ausgerichtet: „This place don‘t make sense to me no more“, sang der Meister am Ende des Songs „Senor (tales of yankee power)“, dem Big Song aus dem prächristlichen 1978er Album „Street Legal“. Der britische Teil des Publikums sang mit feuchten Augen mit. Später folgte „New Morning“ vom gleichnamigen 1970er Album – als Hoffnungsschimmer für die Zukunft: „So happy just to see you smile underneath the sky of blue.“ In den 35 Konzerten dieses Jahres hatte Dylan keinen dieser beiden Songs gespielt.

Das Amphitheater im Nordsternpark war stimulierend. 30 Grad im Schatten. Die Bühne auf Tuchfühlung zum Rhein-Herne-Kanal. Allein die visuelle Anwesenheit des Wassers sorgte für coole vibes. 5.000 Zuschauer im halben Rund wollten den Meister erleben. Auf der gegenüber liegenden Kanalseite begnügten sich ein paar hundert Gäste mit der Rückenansicht von Dylan und seiner Band. Die Zeltdachkonstruktion schützte die Musiker vor allzu heftiger Sonneneinstrahlung. Dylan hatte einen schwarzen Anzug plus Cowboyhut gewählt, die Band zog die Farbe grau vor.

Gerüchte über den schlechten Gesundheitszustand Dylans konnten das Konzert nicht überdauern. Mit 65 Jahren ist er halt leichten Formschwankungen unterlegen. Der Einstieg mit „Maggies Farm“ war dementsprechend holprig. „Dylan ist doch total durch“, flüsterte mir meine Konzertbegleiterin zu, „aber irgendwie cool“. Es war ihr erstes Dylan-Konzert. Und eines der besten ever. Spätestens ab „Down Along the Cove“, dem dritten Song, stimmte der Sound. Bobs Stimme war die vollste und beste seit Jahren. Die Sechs-Mann-Band rockte und rollte. Mr Zimmerman lachte und war zufrieden. Meine Nachbarin revidierte ihr Urteil schnell. Seit Sonntagabend besitzt sie ein Poster des jungen Dylan. 1962 revisited.

Dylan spielt seit vier Jahren nur noch Keyboard und Bluesharp. Der ursprüngliche Pianosound ist einer weichen, fast souligen Orgel gewichen. Drei Gitarristen übernehmen die Saitenarbeit, ohne weiter aufzufallen. Dylan ist der unbestrittene Star. „Desolation Row“ und das selten gespielte „Forever Young“ lebten vom pointierten Gesang und den zurückhaltenden Arrangements. Hits wie „The Times They are A-Changin‘“ und „Mr. Tambourine Man“ blieben solides Handwerk.

Als Zugabe bediente Dylan seine Fans mit einer angenehm unaufdringlichen Version von „Like a Rolling Stone“ und dem infernalischen „All Along the Watchtower“ als gewalttätigen Schlussakkord. Ein düsteres Gitarrengewitter entließ das Publikum in die laue Sommernacht. Auch die englischen Gäste wussten, was gemeint war: „There must be some way out of here!“