Reform auf einem Blatt Papier

Schon nach dreißig Minuten waren sich Union und SPD über die Eckpunkte der Unternehmensteuerreform einig. Details wurden freilich nicht geregelt

VON HANNES KOCH

Bis sein eigentliches Thema drankam, wartete Bundesfinanzminister Peer Steinbrück die ganze Nacht – bis zum frühen Morgen gegen 4.30 Uhr. Es war schon hell, da machte der Koalitionsausschuss im Kanzleramt ganz schnell. Nach einer halben Stunde waren die Eckpunkte zur Reform der Unternehmensteuern beschlossen.

Der Kompromiss, der auf eine DIN-A 4-Seite passt, enthält denn auch ziemlich große Lücken. Diese Leerstellen – unter anderem die Höhe der Steuer für private Vermögen – müssen Union und SPD im Bundestag ab Herbst 2006 regeln. Trotzdem freut sich Steinbrück über einen „sehr erfolgreichen“ Auftritt im Koalitionsausschuss, wie sein Sprecher Torsten Albig gestern mitteilte.

Einig sind sich Union und SPD schon heute, dass der Steuersatz für Konzerne und große Mittelstandsunternehmen ab 2008 von knapp 39 auf unter 30 Prozent sinken soll. Damit läge die nominelle Belastung transnational tätiger Unternehmen mit Sitz in Deutschland dann auf einem ähnlichen Niveau wie in Dänemark, Schweden, Finnland, den Niederlanden und Großbritannien. Das soll zwei Effekte bringen. Die Unternehmen würden, so hofft die Regierung, einen größeren Teil ihrer Gewinne in Deutschland versteuern und nicht mehr im Ausland, wo ihre Tochterfirmen sitzen. Dadurch nähmen die deutschen Finanzämter langfristig mehr Geld ein. Außerdem, so die zweite Hoffnung, würden die Konzerne mehr Mittel in Deutschland investieren – und Arbeitsplätze schaffen.

Dieses Kalkül kann funktionieren – muss aber nicht. Als beispielsweise Irland vor Jahren seine Steuer auf 12,5 Prozent senkte, überstiegen die Staatseinnahmen die Verluste bald um ein Mehrfaches und die arme Insel verwandelte sich in das Boomland der Banken, Versicherungen und Software-Häuser. Andererseits haben schon viele andere Staaten ihre Steuern verringert – und Deutschland kommt ziemlich spät. Deshalb halten sich die positiven Effekte möglicherweise in engen Grenzen.

Die Regierung setzt freilich auf Optimismus. In seiner Finanzplanung für die kommenden Jahre geht das Finanzministerium davon aus, dass zunächst einmal 8 Milliarden Euro Einnahmen aus der Unternehmensteuer fehlen. Dann soll sich der Verlust auf 5 Milliarden pro Jahr reduzieren – und schließlich wegen des höheren Wirtschaftswachstums ganz verschwinden.

„Diese Reform ist aufkommensneutral“, erklärte deshalb Steinbrücks Sprecher Albig. Soll heißen: Unter dem Strich bekommen die Firmen nichts geschenkt. Damit würde die Bundesregierung die Bedingung des SPD-Parteitages von Mitte Mai erfüllen. An dieser Einschätzung zweifeln freilich die Kritiker von der Parlamentarischen Linken der SPD. Einen Ausfall von 8 oder 5 Milliarden Euro könne man „nicht als aufkommensneutral“ bezeichnen, sagte der ehemalige Hamburger Bürgermeister Ortwin Runde. Er setzt darauf, die Reform während der Gesetzesverhandlungen ab Herbst noch zu verändern. Die sowieso vorhandenen Fehlbeträge im Bundeshaushalt von gut 53 Milliarden Euro würden für einen ausreichenden Druck sorgen, um zusätzliche Steuergeschenke an Unternehmen und entsprechende Einnahmeausfälle zu verhindern, ist Runde überzeugt.

Im Einzelnen will die große Koalition das heute unübersichtliche Steuerrecht vereinfachen. Während Kapitalgesellschaften derzeit auf ihre Gewinne die kommunale Gewerbesteuer (knapp 14 Prozent) und zusätzlich die Körperschaftsteuer (25 Prozent) zahlen, soll beides später in einer so genannten föderalen Unternehmensteuer zusammengefasst werden. Deren kommunaler und bundesweiter Teil würden im Gegensatz zu heute nach den gleichen Regeln funktionieren.

Zwischen Union und SPD strittig ist noch, in welcher Höhe auch bestimmte Kosten der Unternehmen der Steuer unterworfen werden. Steinbrück möchte Schuldzinsen, Lizenzgebühren und Mieten besteuern, die Firmen an Dritte zahlen – der Finanzminister sieht in diesen Kosten verschleierte Gewinne. Die Union ist an diesem Punkt deutlich weniger überzeugt. Ungeklärt ist außerdem: Welche privaten Kapitalerträge sollen den niedrigeren Steuersatz von 30 Prozent (heute bis 42 Prozent) bekommen? Auch dadurch will Steinbrück Vermögenden einen Anreiz bieten, mehr Geld im Land zu lassen.