Magie wird in der Nacht gemacht

Raffinierte Schnitttechnik durch blitzschnelles Blinzeln: Mit seinem Spielfilmdebüt „Schiffe aus Wassermelonen“ hat der türkische Regisseur Ahmed Ulucay eine Hommage an die Welt des Kinos gedreht – und an Fellinis „8 1/2“

In Fellinis „8 1/2“, einem der schönsten Filme über das Filmemachen überhaupt, verzweifelt der Regisseur Guido an seinem neuesten Projekt. Seine Zerrissenheit wird für den Betrachter dadurch nachvollziehbar, dass im Film immer wieder die Grenzen zwischen äußerer Erfahrungs- und innerer Fantasiewelt aufgehoben werden: So sieht Guido in einer Szene eine junge Frau mit einem Wasserglas in der Hand auf sich zukommen. Kurz bevor sie es ihm reichen kann, blinzelt er – und plötzlich steht eine andere Frau vor ihm, die rein gar nichts mit diesem wundervollen, aber leider nur seiner Fantasie entsprungenen Geschöpf gemein hat.

Auch in „Schiffe aus Wassermelonen“, dem Debüt des türkischen Regisseurs Ahmed Ulucay, verfließen immer wieder Außen- und Innenwelt des Filmemachers Recep (Ismail Hakki Taslak) zu verworrenen, traumartigen Arrangements. Wenn sich der noch halbwüchsige Recep nachts mit seinem Freund Mehmet (Kadir Kaymaz) auf den Weg in ein abgelegenes und ziemlich rudimentäres Filmstudio macht, versinkt er in seiner Fantasie: Seltsame Gesänge, fremdartige Klänge und verschwommene Ansichten in Schwarz- und Rottönen dominieren dann eine Szenerie, die rein gar nichts mit dem eher monotonen Tagesablauf des Jungen zu tun hat.

Tagsüber aber geht Recep seiner Beschäftigung als Melonenverkäufer nach. Dabei träumt der Junge die meiste Zeit vor sich hin und blättert gedankenverloren in Filmzeitschriften. In klaren, meist in warmem Gelb gehaltenen Bildern wird hier ein Alltag skizziert, in dem selbst der Romantik – Recep verliebt sich in die um einige Jahre ältere Nihal (Boncuk Yilmaz) – kaum magische Momente entspringen. Für die Magie bleibt allein die Nacht – sie ist da für Receps wahre Liebe, den Film.

Allerdings erstarren die cineastischen Versuche von Recep und Mehmet erst einmal in völliger Bewegungslosigkeit: Sie schaffen es einfach nicht, die Filmschnipsel, die ein freundlicher Kinobetreiber ihnen überlassen hat, im selbst gebauten Holz-Projektor zum Laufen zu bringen. Und so kommen diese Bilder immer nur dann in Bewegung, wenn Mehmets Mutter die beiden wieder einmal in ihrem Versteck aufgesucht hat und die Bänder zeternd durchs Dorf schleift, um sie anschließend ins Feuer zu werfen.

Bei solch diffizilen Arbeitsbedingungen müssen sich die beiden Jungregisseure ihrer Fantasie bedienen. Sie spielen Filmemachen – und der eigene Körper spielt mit: Da wird das Viereck des Bildrahmens mit den Fingern erzeugt, Schnitte werden durch schnelles Blinzeln imitiert. Die Resultate dieser Experimente kann der Zuschauer durch die Augen der beiden mitverfolgen. Bisweilen zerfließt so die Grenze zwischen kunstvoller Schnitttechnik und epileptischem Anfall.

„Schiffe aus Wassermelonen“ ist eine mit großartigen Laiendarstellern besetzte Hommage an die Welt des Films. Und so wie Guido in „8 1/2“ seine Schaffenskrise überwindet, indem er das Verdrängte nicht mehr aus Leben und Werk ausklammert, so schafft es auch Recep am Ende, Alltags- und Traumwelt zusammenzuführen. Das offenbart die allerletzte Einstellung: Während der Junge vor dem Freund seine Idee für ein Drehbuch ausbreitet, zoomt die Kamera auf ein viereckiges Loch in der Wand, hinter dem plötzlich – genau wie in der Geschichte – ein gewaltiges Unwetter zu toben beginnt.

ANDREAS RESCH

„Schiffe aus Wassermelonen“, Regie: Ahmet Ulucay. Mit Ismail H. Taslak, Kadir Kaymaz, u. a., Türkei 2004, 97 Min.