DER KARTOFFELMERCEDES
: Kunst also!

Ich glaube, die Leute kommen sich auch ein bisschen albern vor

Auf meinem täglichen Weg zu Kisch & Co. bemerke ich am Kottbusser Tor eine Ansammlung von zwanzig Personen unterschiedlichen Alters und Geschlechts. Alle mit Rollkoffern, ebenfalls unterschiedlichen Alters, aber auch unterschiedlicher Qualität. Ich entdecke sogar einen Kartoffelmercedes. Das ist, wie mir Harry Rowohlt erklärt hat, ein Gefährt, mit dem man seine Kartoffeln vom Markt nach Hause fährt, im Unterschied zum Hackenporsche, den man zum Bahnhof hinter sich herzieht.

Die Rollkoffermenschen haben sich in einer Reihe aufgestellt. Dann macht jemand Musik an und sie bewegen sich im Takt der Musik im Kreis, aber auch in einer Acht. Es sieht ein bisschen albern aus, und ich glaube, die Leute, die das machen, kommen sich auch ein bisschen albern vor, aber niemand beachtet den raumgreifenden und den Bürgersteig in Beschlag nehmenden Menschenauflauf.

Ich frage mich, was das sein soll. Ein Flashmob von Touristen, die gegen die Tourismusfeindlichkeit in Kreuzberg demonstrieren? Aber auf diese Weise? Ich glaube nicht, dass sie sich dadurch Freunde machen. Auch nicht die Frau, die vorneweg geht und offenbar die Animateurin ist, denn sie ist forsch und irgendwie von unverwüstlichem Frohsinn. Ich denke an meinen Freund, aber auch Kritiker Peter Laudenbach, der – um hier auch mal was Schlaues zu sagen – in seinem Buch „Die elfte Plage“ an den Touristen kritisiert, dass sie die Stadt mit solchen Events zum „Erlebnispark“ machen, was allerdings auch schon aus dem Untertitel des Buchs hervorgeht: „Wie Berlin-Touristen die Stadt zum Erlebnispark machen“.

Dann aber kriege ich einen Zettel, auf dem steht, dass es sich um eine Kunstaktion handelt und dass ich zur Vernissage eingeladen bin. Die Kunst hat was mit Rollkoffern zu tun. Kunst also! Darauf wär ich jetzt nicht gekommen. KLAUS BITTERMANN