Hier muss keiner vor die Tür

Wo ein Aschenbecher, da ein Raucher. Diese Regel gilt selbst an Orten, von denen man annehmen sollte, hier wären Zigaretten tabu. Im Unfallkrankenhaus Berlin sind die Raucherzimmer besonders einladend. Harry Kunert und Lutz Wendt genießen den guten Service

BERLIN taz ■ Einträchtig liegen sie nebeneinander. Wortkarg, entspannt. Lassen die Feuerzeuge klicken – Lungen bereit, Nikotin im Anflug. Schönes Wetter heute, schöner Ausblick, auf Bäume, auf sandfarbene Klinkerbauten. Überhaupt: schöner Balkon. Halbkreisform mit Säulen, Holzboden, Blumenkästen. Schön ruhig ist es auch. Nur manchmal zerfräst das Rotorengeräusch des Rettungshubschraubers die Idylle. Zwischen ihren Liegen steht ein großer Aschenbecher. Es sind Krankenhausliegen, sie stehen im Unfallkrankenhaus Berlin-Marzahn (UKB).

„Ick rooch aus Langeweile“, brummt der eine Mann. „Ich auch“, sagt der andere. „Dit is fast die einzige Freizeitbeschäftigung hier.“ „Genau.“ Grinsen. Schweigen. Nur das Geräusch der Lungen, die Zigarettenrauch ausstoßen.

Harry Kunert, 40, aus Berlin, eine Schachtel am Tag, mindestens. Lutz Wendt, 38, aus Waren in Mecklenburg, bis zu 15 Zigaretten täglich. Beide seit zwanzig Jahren querschnittgelähmt. Beide gerade hier im Krankenhaus, wegen Fisteln; das sind eitrige Gänge im Gewebe, die da nicht hingehören. Beide operiert, Fisteln sind hartnäckig. Viel Zeit, sich nach draußen auf die schön gelegene Raucherterrasse schieben zu lassen.

Ein Krankenhaus ist ein Ort, an dem man Raucher eher nicht erwartet. Und doch wird im UKB für nikotinabhängige Patientinnen und Patienten alles getan, damit sie sich wohl fühlen. Hier muss keiner vor die Tür. In der Cafeteria im Eingangsbereich sitzen die Patienten in Bademantel und Puschen vor ihrem längst kalten Kaffee, neben sich den fahrbaren Tropf. Im linken Handrücken die Kanüle, in der rechten die Zigarette. Das UKB ist noch neu, hochmodern. Beim Bau sollten die Architekten ausdrücklich Raucherräume einplanen – mit Türen, die nicht nur den Rauch abfangen, sondern auch den Schall. Und mit Balkon. Für jede Station. Auch in der Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie, wo Rachen- und Kehlkopferkrankungen behandelt werden, auch in der Inneren, wo Kunert und Wendt ihre Fisteln operieren lassen.

„Wir sind dazu da, die Kranken ernst zu nehmen“, erklärt Matthias Witt, 52. Witt, Pflegedirektor im UKB – Berliner, Pfeiferaucher (aber nur zu Hause) – wirbt um Mitgefühl: „Da kommt einer in die Notaufnahme, ein Kettenraucher, Arm ab, Bein ab. Und dann sollen wir sagen: ‚Rauchen ist schlecht für die Gesundheit.‘?“ Mehr als 2.200 Krankenhäuser gibt es in Deutschland. Nur fünfzig haben sich dem „Netz rauchfreier Krankenhäuser“ angeschlossen. „Wir sind ja nicht die Politiker“, sagt Pflegedirektor Witt.

Die Politiker also. Langsam dreht sich auch in Deutschland der Wind, er beginnt, den Zigaretten-, Zigarren- und Pfeifenrauchern scharf ins Gesicht zu blasen. Schon drohen Rauchverbote im öffentlichen Raum wie in den USA, in Irland, Norwegen, Schweden. Nur ganz selten werden minimale Ausnahmen gemacht. In Schottland etwa, dort gilt das Nichtrauchergesetz seit Ende März. Aber verblüffenderweise darf in schottischen U-Booten noch geraucht werden. Selbst auf englischen Theaterbühnen darf ab Sommer 2007 nicht mehr gequalmt werden – es sei denn, die Zigarette ist für die Handlung unerlässlich.

Überraschend hingegen, wo überall in Deutschland geraucht werden darf. An Orten, wo doch die Regel die Ausnahme sein müsste. Gesundheitsbehörden. Krankenhäuser. Rauchfreie Bahnhöfe. Oder die hermetisch abgeriegelte Sicherheitszentrale für die Fußballweltmeisterschaft. Drinnen, im Nationalen Informations- und Kooperationszentrum (NICC) im Bundesinnenministerium, ist Tabak tabu. Vor der Tür aber blasen die Sicherheitsexperten in der Rauchpause den blauen Dunst direkt in eine Glaskabine mit Abzugsautomatik. Hightech für Suchtkranke. Wo ein Ascher ist, ist auch ein Raucher – wenn es dann auch noch so ein schicker Designabzug ist, umso besser.

Rauchen ist schlecht für die Gesundheit. Lungenkrebs, Schlaganfälle, Raucherbeine, Auswurf. 140.000 tote deutsche Raucher pro Jahr. Dazu 3.300 Nichtraucher, die wegen Passivrauchen draufgehen. Viel zu viele.

Auch dort, wo Politik gemacht wird, glimmen die Zigaretten. Im Bundesgesundheitsministerium zum Beispiel. „Rauchfrei 2006“ heißt die Kampagne der Behörde, Schirmherrin ist Ulla Schmidt (SPD). In den beiden Dienstsitzen ihres Ministeriums in Bonn und Berlin ist Rauchen nicht verboten. Vor zwei Jahren schon ist die entsprechende Dienstvereinbarung für ein rauchfreies Ministerium ausgelaufen. Die Wiederauflage habe der Betriebsrat verhindert, heißt es dort hinter vorgehaltener Hand. An manchen Schreibtischen der Gesundheitsbehörde werde ausgiebig geraucht. Zu sehen bekommt man das nicht. Die Pressestelle wiegelt einen Besuch freundlich ab: Momentan viel Arbeit, leider, leider. Später gern. In ein paar Wochen vielleicht. Man wisse ja – die Gesundheitsreform … Da rauchen sicher gerade viele Köpfe.

Im neuen Berliner Hauptbahnhof scheint die Bahn AG Ernst zu machen. Nicht einmal auf den Bahnsteigen findet man noch Raucherzonen; anderswo gibt es sie noch. Aber im Bahnhofsrestaurant Hopfingerbräu in der zweiten Etage des mächtigen Glaskastens steht auf fast jedem Tisch ein Aschenbecher. Draußen auf der Freiterrasse, auch drinnen. Ist der Bahnhof nicht komplett rauchfrei? Der Kellner schaut grimmig. „Was haben denn wir mit dem Bahnhof zu tun?!“

Auch der Pförtner in der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit scheint sich erfolgreich für eine Insellösung eingesetzt zu haben. Überall im Haus kleben Rauchverbotsschilder an den Wänden; selbst auf den Toiletten, wo in Sitzhöhe blitzsaubere Aschenbecher hängen. Aus der Pförtnerkabine aber quillt weißer Rauch. Auch in dieser Behörde freut man sich über Aussteiger. In der dritten Etage wirbt die „Rauchfrei“-Kampagne: „10.000 Euro zu gewinnen, Teilnehmerkarten hier“. Direkt daneben steht der Aschenbecher, die Raucher genießen ihre Pause. 10.000 Euro! Zweieinhalbtausend Schachteln.

Im Unfallkrankenhaus Marzahn langt derweil der querschnittgelähmte Harry Kunert nach seinem ledernen Zigarettenetui. Nächste Fluppe. Acht Monate liegt er jetzt hier. „Wenn du 30 Zigaretten am Tag geraucht hast, und dann solltest du hier acht Monate gar nicht – da drehst du doch durch.“

1986 war Kunert gerade 20 Jahre alt und bei der Marine. Da riss es ihn und sein Moped in einer Haarnadelkurve von der Straße. „Dann hat’s geknackt“, sagt er. Er war unterwegs, um Zigaretten zu holen. ERIK HEIER