Spitzenlage findet Käufer

GENTRIFIZIERUNG Zu den beliebtesten Stadtteilen in Hamburg gehört seit Jahren Ottensen. Inzwischen werden hier Wohnungen zu Mondpreisen verkauft. Ein Frontbericht vom Spritzenpatz

Diese Art von Schildern kennt man schon, wenn man täglich durch den Hamburger Stadtteil Ottensen geht. Dieses hängt an einem besonders auffälligen Ort: direkt am Spritzenplatz, mittendrin zwischen Kneipen, Boutiquen und Cafés, an einer eingerüsteten Altbaufassade mit Säulenreliefs: „Hier entstehen bis Frühjahr 2013 hochwertige Wohnungen und flexible Gewerbeeinheiten“, dazu der Name eines Maklerbüros. Ein Anruf dort ergibt: Aus Frühjahr 2013 ist inzwischen das Jahr 2014 geworden, zwei Wohnungen sind noch zu haben.

Was ist das für ein Haus?

Das Ensemble heißt „Fette-Höfe“, seinen Namen hat es von der Maschinenfabrik Wilhelm Fette, die früher im Hinterhof stand. Der ganze Komplex wurde 2010 von Investoren aufgekauft. Der Altbau aus der Gründerzeit wird gerade saniert, im Hinterhof wurden Neubauten errichtet.

Wo ist das Problem?

Das Preisniveau. Das Wirtschaftsmagazin Capital schreibt in seiner Online-Ausgabe zum Thema Ottensen: „Mit den ‚Fette Höfen‘ am Spritzenplatz entstehen mitten im Stadtteil kurz hinter dem Altonaer Bahnhof 25 Neubauwohnungen, die mit Quadratmeterpreisen von bis zu 6.400 Euro auch neue preisliche Dimensionen erreichen. Selbst Tiefgaragenstellplätze liegen hier mit 27.500 Euro auf dem Niveau der teuersten Hamburger Stadtteile.“

Wie sehen Wohnungen aus, für die man so viel Geld bezahlen soll?

Zu haben ist zum Beispiel noch die „Bankierswohnung“: Sie umfasst zwei Stockwerke, von denen man auf den Spritzenplatz sehen kann. Die Eingangshalle geht über beide Stockwerke und ist fünf Meter hoch, nach hinten hinaus gibt es einen Balkon. Die Wohnung hat fünf Zimmer auf 181 Quadratmetern und soll 1,2 Millionen Euro kosten.

Ist das nicht zu viel?

Wie man’s nimmt. Auf dem Spritzenplatz direkt vor den Fette-Höfen ist einmal in der Woche Biomarkt. Der Mercado, eine Mischung aus Einkaufszentrum und Markthalle, ist nur 200 Meter entfernt, ebenso die Ottenser Hauptstraße.

Und das ist alles?

Na ja, es ist eben Ottensen.

Warum ist Ottensen so beliebt?

Liegt über der Elbe. Viel Altbaubestand, in den Hinterhöfen aufgegebene Fabriken, von denen noch die Schornsteine stehen und die jetzt als Lofts genutzt werden. Mit seinen kleinen, krummen Straßen hat Ottensen etwas Kleinstädtisches, gibt es viele nette Restaurants.

Und die Nachteile?

Die Homogenisierung schreitet voran. Außerdem gibt es kaum Clubs – die sind immer noch auf St. Pauli oder in der Sternschanze, wo die Immobilienpreise derzeit noch stärker steigen als in Ottensen.

Was ist daran schlimm, wenn Leute teure Wohnungen kaufen?

An sich nichts. Unangenehm wird es, wenn der Prozess nur in eine Richtung läuft: In den Fette-Höfen waren vor der Sanierung bezahlbare Mietwohnungen. Und die kommen in Stadtteilen wie Ottensen nicht in demselben Maße dazu, wie sie verschwinden. Leute mit weniger Geld werden verdrängt, so geht der sogenannte „Ausländer“-Anteil in Ottensen seit Jahren zurück.

Was sagen die Makler?

Immobilienberaterin Telsche Ratje vom Maklerbüro Grossmann & Berger: „Die ehemalige Bankierswohnung im Vorderhaus ist etwas Besonderes, aber insgesamt ist dies ein sehr gesunder Wohnungsmix. Da hat man dann natürlich schon eine Wohnung für 350.000 Euro gekriegt mit etwas über 80 Quadratmetern. Also ein völlig normaler Preis, sag’ ich mal.“

Was sagen die Nachbarn?

Jörg Schürer betreibt eine KFZ-Werkstatt im Nachbarhaus. Erst sollte er ebenfalls raus, dann durfte er bleiben – die Miete ist allerdings um 60 Prozent gestiegen. Er sagt: „Natürlich wünscht man sich, es bliebe alles beim Alten, aber das ist ein utopischer Gedanke. Schau dir Christiania in Kopenhagen an, London, Paris, New York. Überall das Gleiche.“

Warum tut die Stadt nichts?

Tut sie, aber es reicht nicht. Der Senat hat mit der Wohnungswirtschaft ein „Bündnis für das Wohnen“ geschlossen, wonach jedes Jahr 6.000 neue Wohnungen entstehen sollen, ein Drittel davon Sozialwohnungen. Bemerkbar macht sich das bisher allerdings nur in sogenannten „Randlagen“.

JANTO RÖSSNER, DANIEL WIESE