Ölsucher im Rausch der Tiefe

BOHRINSELN Weltweit wird an rund 300 Tiefsee-Standorten im Meer nach Öl gebohrt. Dabei kommt es immer wieder zu Unglücken

BERLIN taz | Die Explosion der Ölplattform „Deepwater Horizon“ hat die USA in die größte Umweltkatastrophe ihrer Geschichte gestürzt. Das Ausmaß des Unglücks im Golf von Mexiko ist verheerend und in dieser Form ein Sonderfall. Das Risiko für derartige Ereignisse existiert aber auch auf anderen Ölplattformen in der Tiefsee, und zwar über den ganzen Globus verteilt. Denn nach Angaben der Umweltschutzorganisation Greenpeace sind weltweit fast 800 Offshore-Plattformen auf etwa 300 Ölfeldern im Einsatz. Sie fördern in einer Meerestiefe von mehr als 800 Metern Öl und Gas oder führen derzeit noch Probebohrungen durch. Die meisten Tiefsee-Ölfelder der Welt – rund 160 – liegen im Golf von Mexiko. In Brasilien gibt es nach den Recherchen von Greenpeace 52 und in Westafrika 46 Ölförderprojekte.

Dabei stoßen die Bohrinseln in immer extremere Tiefen vor. Eine Ölplattform vor der Küste Ghanas arbeitet in mehr als 4.000 Metern Wassertiefe. „Deepwater Horizon“ arbeitete in rund 1.500 Metern Tiefe. Um an Öl und Gas zu gelangen, muss zudem in den meisten Fällen noch mehrere tausend Meter dickes Gestein durchdrungen werden. Einheitliche Sicherheitsvorkehrungen für die Arbeiten in der Tiefsee gibt es allerdings nicht.

In Norwegen und Brasilien muss es laut Jörg Feddern von Greenpeace mindestens drei verschiedene Sicherheitssysteme geben, um einen unkontrollierten Ölaustritt zu verhindern. Andere Länder – wie auch die USA – verlangen eine solche Dreifach-Sicherung bislang nicht von den Betreibern der Bohrinseln. „Man müsste das weltweit vorschreiben und mit Probeläufen nachweisen, dass die Systeme funktionieren“, fordert Feddern.

Möglicherweise hätte dadurch auch mancher Unfall auf den Plattformen vermieden werden können. Denn einen unerwarteten Öl- und Gasaustritt wie jenen, der am 20. April dieses Jahres zur Explosion auf der „Deepwater Horizon“ führte, gab es schon mehrfach.

Der letzte größere Zwischenfall liegt noch gar nicht lange zurück: Er ereignete sich im vergangenen August auf der Förderplattform „Montara“ in der Timorsee vor der Nordwestküste Australiens. Nach einem Brand auf der Plattform, die von dem Unternehmen PTTEP Australasia betrieben wurde, waren etwa zehn Wochen lang insgesamt etwa 36.000 Tonnen Öl aus einem Leck gesprudelt. Damals hatten Experten das Öl mit Hilfe einer Entlastungsbohrung gestoppt. Der Ölteppich erreichte eine Fläche von 25.000 Quadratkilometern. Die „Montara“-Plattform lag in der Nähe von empfindlichen Korallenriffen.

1980 ereignete sich ein Unfall auf einer Bohrinsel im Nigerdelta. Insgesamt traten dort 28.000 Tonnen Öl aus und verursachten auch in den Mangrovenwäldern des Nigerdeltas Umweltschäden.

Die aufwändigen Tiefseebohrungen ließen sich also offensichtlich schon in der Vergangenheit nicht vollständig beherrschen, und auch gegenwärtig bleiben große Restrisiken – insbesondere dann, wenn nicht alle möglichen Sicherheitsvorkehrungen ergriffen werden. Das passiert immer wieder: So sollen beispielsweise auch auf der Bohrinsel „Atlantis“ einige Auflagen gar nicht erst eingehalten worden sein. Die Plattform ist eine der größten Ölförderanlagen der USA und befindet sich ebenfalls im Golf von Mexiko.

Allerdings hat die US-Regierung Konsequenzen aus dem Unglück im Golf gezogen. Präsident Barack Obama hatte Ende Mai ein Moratorium für neue Tiefseebohrungen verlängert. Zudem verschärfte die US-Regierung die Vorschriften für Ölbohrungen vor der Küste. Jeder neue Bohreinsatz im Meer bedarf nun der Abnahme durch einen Ingenieur. Strenger wurden auch die Bestimmungen für die Verschalung und Zementierung des Bohrlochs. Es muss künftig von mindestens zwei Schutzschichten umgeben sein, der Abdichtkopf muss durch unabhängige Dritte geprüft und besser gesichert werden. JENS KLEIN