Gesegnete Schläger

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

„Moskau ist nicht Sodom“, skandierte am Samstag eine wütende Menge Rechtsradikaler an der Kreml-Mauer. Einige Dutzend Homosexuelle wollten am Grab des Unbekannten Soldaten Blumen niederlegen. So weit kam es jedoch nicht. Kurz geschorene Schläger fielen über die Aktivisten her. Mehrere Teilnehmer wurden verletzt, unter ihnen auch der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck, der an einem Kongress gegen Homophobie teilnehmen wollte. Beck wurde von der Polizei vorübergehend festgesetzt. Wieder auf freiem Fuß, warf der Abgeordnete den russischen Sicherheitskräften vor, die Demonstranten bewusst den Schlägertrupps in die Arme getrieben zu haben. Beim Durchkämmen der umliegenden Straßen hatte die Polizei zuvor bereits über 50 Lesben und Schwule festgenommen. Ursprünglich wollte die Schwulenszene den 13. Jahrestag der Streichung des Homosexuellen-Strafrechtsparagrafen mit einer Parade begehen.

Doch Bürgermeister Juri Luschkow hatte für das Anliegen der „nichttraditionell Orientierten“ kein Verständnis. Er untersagte die Veranstaltung und ließ dies am Vorabend noch von einem Gericht bestätigen. 1.000 Polizisten und 700 Soldaten setzte das Rathaus in Alarmbereitschaft.

Von der Norm abzuweichen ist in Russland wieder gefährlich geworden. Anfang Mai hatten orthodoxe Gläubige, unterstützt von Skinheads, Szeneklubs in der Innenstadt überfallen. Kirchliche Weihen erhielten die Schläger von dem orthodox-fundamentalistischen Priester Igor Artemow. Die Polizei griff ein, nachdem die Klubgäste Prügel bezogen hatten.

Auch der Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats, Metropolit Kyrill, wettert gegen Homosexuelle. Das westliche „Diktat der Political Correctness“ untersage es wahren Christen, Sünde beim Namen zu nennen. Die Parade sei eine „Glorifizierung des Sündhaften“, sagte der Kirchenvater. Ihm sprang der Mufti der russischen Muslime zur Seite. Talgat Tadschuddin forderte seine Glaubensbrüder auf, Schwule zu verprügeln, wenn sie es wagen sollten, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Auch der Rabbi warnte vor den Gefahren „homosexueller Propaganda“.

In dieser Gesellschaft fühlt sich Bürgermeister Luschkow offenbar besser aufgehoben als im Kreis seiner Kollegen aus Paris, London und Berlin, die er regelmäßig trifft. Im Februar kam es zu einem Eklat, als der Russe vor den bekennenden schwulen Stadtvätern von Berlin und Paris Homosexualität als „unnatürlich“ geißelte. 99 Prozent der Moskauer unterstützten das Verbot der Parade, sagte Luschkow dem Sender Russischer Nachrichtendienst. „Mögen westliche Länder mit ihrer Zügellosigkeit dergleichen dulden, Moskau und Russland tun dies nicht.“ Homosexuelle Liebe widerspreche einer jahrhundertealten Tradition.

Diese Behauptung ist falsch. Noch im 19. Jahrhundert klagte der russische Historiker Sergei Solowjew: „Weder im Okzident noch im Orient wurde die schändliche, unnatürliche Sünde so leicht genommen wie in Russland.“ Ausländische Diplomaten berichteten seit dem 16. Jahrhundert von einem ungezwungenen Umgang mit Homosexualität. Doch heute ist Russlands Öffentlichkeit weitaus konservativer. Angst vor Veränderungen, das Fehlen elementarer Sachkenntnisse und anhaltende Vorurteile bilden den Nährboden für Homophobie – Teil eines postsozialistischen Phänomens in vielen Ländern Osteuropas. Früher galt hier, unter dem Siegel des Proletarischen Internationalismus, Homosexualität als Zeichen westlicher Dekadenz. Die Rolle der kommunistischen Leitfigur wurde nach 1990 von Kirchen und/oder Nationalisten besetzt. Weder in Russland noch Lettland oder Polen können Schwule und Lesben öffentlich unbehelligt für ihre Anliegen demonstrieren. Die Polizei schützt Rechte und Klerikale.