Kiezrap und Sufitanz

BÜHNE Die Werkstatt der Kulturen bringt am Freitag mit „Neukölln Crossover“ Rap, Rock und Beats auf die Bühne

„Einer ist ausgestiegen, weil er mit 16 Jahren zu Hause den Vater ersetzen muss“

HIPHOP-COACH AKTEONE

VON KATJA MUSAFIRI

Voller Inbrunst drischt ein Mann auf die imaginären Saiten seiner Luftgitarre ein. Nach den rockigen Rhythmen ertönen schwungvolle Balkanmelodien, kurz darauf rappen zwei Jungs mit Baseballcaps und Kapuzenpullis: „Neukölln, du bist nicht immer einfach! Neukölln – doch du bist meine Heimat!“. Neben ihnen vier Teenagerinnen, die die Rapper mit orientalisch klingenden Gesängen begleiten. Eben noch an der Luftgitarre, gibt der Mann, Workshopleiter Zarko, nun den Percussionisten mit Trommelbewegungen ihre Einsätze vor.

Die oberste Etage des Jugendzentrums Grenzallee in Neukölln wird an diesem Sonntag zur Bühne für eine Gesamtprobe – etwa 40 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene proben in Musik-Workshops für einen gemeinsamen Auftritt in der Werkstatt der Kulturen.

„Neukölln Crossover“ heißt das Projekt, das vom Verein Cosima initiiert wurde. „Wir wollen die Vielfalt Neuköllns in der Musik zeigen“, sagt Florian Thamm, Cosima-Mitarbeiter. So hat man im vergangenen Jahr junge Bands und Musizierende aus dem Stadtbezirk zusammengetrommelt. „Im Frühjahr ging es dann mit den einzelnen Proben los“, erzählt Thamm. Das Programm: von Derwischtanz, dem Drehtanz der Sufis, bis Slam Poetry, von Rock bis Gypsy.

So leitet einen Workshop eben jener Zarko, Frontmann der bekannten Berliner Balkan-Gypsy Band Mr. Zarko. AKTEone, Berliner HipHop-Coach, ist ebenso beteiligt. Er hat mit den Kids den Text zur Hymne „Neukölln, du bist nicht immer einfach“ erarbeitet. Der Coach sagt: „Die Jugendlichen sehen Neukölln einfach so, wie es ist. Dreckig und mit vielen Problemen behaftet.“ Er berichtet vom starken Zugehörigkeitsgefühl der Kids zum Kiez. Deshalb schwinge in den Texten der Ärger über Verdrängungsprozesse im Bezirk mit.

Es ist Pause am Sonntag. Singende Mädchen laufen durchs Treppenhaus des Jugendzentrums. Andere Kids stärken sich am Snackbuffet mit Pizza und Mandarinen. Sam zieht sich vor dem Spiegel die Lippen mit dunkelrotem Lippenstift nach. Die 15-Jährige wurde von einem Freund zum Rock-Workshop mitgenommen. „Ich wollte gern neue Leute kennenlernen, und die Musik interessiert mich“, erzählt sie. Schon ihr Vater habe Rock gespielt – so kam sie zur Musik. Sam spielt Gitarre. Beim Auftritt soll sie ein Duett mit einem Jungen aus dem Workshop singen.

Darius, mit neun Jahren einer der jüngsten Teilnehmer des Workshops, spielt auf arabischen Trommeln. Sein Weg zur Musik kam eher über YouTube und Co.: „Wir hören viel im Internet und machen es dann nach“, erzählt er. Aufgeregt angesichts des Auftritts am Freitag ist er noch nicht – immerhin passen 300 Leute in die Werkstatt der Kulturen.

An dem Abend werden die Kids auch von einigen erfahreneren Künstlern unterstützt. Gastauftritte gibt es zum Beispiel von Faten El-Dabbas und Sami El, die von den muslimischen Poetry-Slams „i,Slam“ bekannt sind. Eine Tanzgruppe namens Holicks präsentiert HipHop-New Styles.

Die Kids aus dem Kurs, so erzählt HipHop-Coach AKTEone, kämen oft aus familiär oder sozial schwierigen Verhältnissen. Von den anfänglichen Teilnehmern seines Workshops sind nur noch die beiden Rapper übrig geblieben. „Einer der Jungs ist ausgestiegen, weil er mit 16 Jahren zu Hause schon den Vater ersetzen muss.“ Mitinitiator Florian Thamm ist gerade verschwunden, er fährt einige Kinder aus Romafamilien nach Hause – eine Absprache mit der Mutter, damit sie teilnehmen können. Die Jugendlichen haben die unterschiedlichsten Backgrounds: Den kleinen Mädchenchor, so Thamm, hätten sie in einem griechischen Kulturverein entdeckt und Teilnehmer des Rock-Workshops in Musikgruppen der Neuköllner Magdalenenkirche.

Die Choreografie für die Bühnenshow wird bei Neukölln Crossover von dem renommierten Choreografen Morris Perry entwickelt, die Neuköllner Oper ist Kooperationspartner. In Zusammenarbeit mit der Oper wurde soeben eine CD mit allen entstandenen Tracks aufgenommen, die am Freitag verschenkt wird. Mit nach Hause nehmen werden die Kids auch Erinnerungen an schräge Tänze und Luftgitarrenriffs.

■ Neukölln Crossover, 29. November, Werkstatt der Kulturen