Deutschland hat ein Importdefizit

Vom Überleben in der Krise

JENS BERGER

Deutschland ist stolz. Stolz auf seine Fußballnationalmannschaft und seine Exportüberschüsse. Dieser Stolz versperrt jedoch leider auch sehr oft die Fähigkeit zur Selbstkritik. Immer wenn es von innen oder von außen Kritik an den deutschen Exportüberschüssen gibt, reagieren die Wortführer aus Politik und Medien wie angeschossene pawlowsche Hunde. Es zwingt doch niemand die Ausländer, deutsche Produkte zu kaufen! Man kann ein Land doch nicht für seine wirtschaftliche Stärke bestrafen! Das ist freilich alles richtig, geht jedoch meilenweit am Eigentlichen vorbei.

Zunächst einmal: Wenn man die deutschen Exportüberschüsse kritisiert, kritisiert man damit nicht die deutsche Wirtschaft oder gar deren Produkte. Es geht auch nicht um die Menge der Exporte, sondern einzig und allein darum, dass Deutschland wesentlich mehr Güter exportiert, als es importiert. Und wenn es um Exportüberschüsse geht, liegt Deutschland weltweit unangefochten an der Spitze.

Man könnte Exportüberschüsse genauso gut als Importdefizite bezeichnen, auch wenn sich dies freilich nicht so positiv anhört, denn wir haben ja gelernt, dass Überschüsse etwas Gutes und Defizite etwas Schlechtes sind. Exportüberschüsse entstehen immer dann, wenn die Löhne – in Relation zu den Handelspartnern – einerseits zu niedrig und andererseits ungleich verteilt sind. Beides trifft auf Deutschland zu. Wenn die Löhne steigen und die Ungleichverteilung der Einkommen sinkt, steigt auch der Konsum der Bevölkerung und somit die Menge der Importe. Man muss schon ziemlich ignorant sein, wenn man darauf stolz ist, dass man für seine Arbeit schlechter bezahlt wird als der Nachbar. Diese Ignoranz ist in Deutschland jedoch durchaus populär.

Deutschlands Exportüberschüsse sind jedoch kein rein deutsches Problem. Gesamtwirtschaftlich betrachtet sind die Überschüsse des einen immer zwingend die Defizite des anderen. Der Welthandel ist nun einmal ein Nullsummenspiel. Wenn Deutschland immer größere Überschüsse anpeilt, so sind diese nur dann realisierbar, wenn andere Länder ihre Defizite ausbauen.

Wenn ein Land permanent mehr Güter aus- als einführt, muss es über kurz oder lang den Ländern, die diese Güter kaufen, Geld leihen. Die deutschen Unternehmen haben Auslandsforderungen in Höhe von 722 Milliarden Euro, die deutschen Banken sitzen sogar auf Auslandsforderungen in Höhe von fast 2 Billionen Euro. So gesehen ist die Exportweltmeisterschaft gleich ein doppelter Pyrrhussieg: Die Arbeitnehmer bezahlen ihn, indem sie vergleichsweise niedrige Löhne erhalten, während die Unternehmen und Banken immer mehr Forderungen aufbauen, deren Begleichung alles andere als sicher ist.

■ ist freier Journalist und Blogger. Als Redakteur der NachDenkSeiten und Herausgeber des Blogs „Spiegelfechter“ schreibt er zu sozial- und wirtschaftspolitischen Themen.

Und hier sind wir beim Kern der Eurokrise angekommen. Es ist unstrittig, dass Volkswirtschaften wie Irland oder Spanien zu hoch verschuldet sind. Um die Verschuldung gesamtwirtschaftlich abzubauen, ist es jedoch notwendig, dass diese defizitären Volkswirtschaften Handelsbilanzüberschüsse erzielen. Ansonsten verteilt man die Schulden und die Forderungen nur von der rechten in die linke Tasche. In einem Nullsummenspiel ist der Abbau von Defiziten jedoch nur dann möglich, wenn auf der anderen Seite auch die Überschüsse abgebaut werden.

Genau aus diesem Grunde hat die EU-Kommission auch neben einem Grenzwert für Handelsbilanzdefizite einen Grenzwert für die Überschüsse eingeführt, der bei 6 Prozent liegt. Im ersten Halbjahr 2013 hat Deutschland jedoch einen Überschuss von 7,2 Prozent erzielt und erfüllt damit nicht mehr die Stabilitätskriterien der EU. Solange die deutschen Überschüsse nicht sinken, können nämlich spiegelbildlich auch die Defizite anderer EU-Staaten nicht sinken. Auch wenn diese Form der Selbstkritik hierzulande nicht sonderlich populär ist: Die deutschen Exportüberschüsse sind ein Problem für Europa.