Eine Frechheit von 18 Minuten

Seit gestern streiken die Kita-Erzieherinnen wieder, um Druck zu machen, wenn ab Donnerstag die Tarifgemeinschaft der Länder weiter verhandelt. Streikende fühlen sich oft missverstanden

von Susanne Gieffers

Von minus zehn bis plus 25 Grad war schon alles dabei: Seit zwei Monaten stehen die Streikenden des öffentlichen Dienstes vorm Bremer Rathaus, mit Thermoskannen, Transparenten, in weiße Ver.di-Plastik gehüllt. Nach monatelangem Stillstand und tariffreier Zone im öffentlichen Dienst der Bundesländer wird Ende dieser Woche in Berlin wieder verhandelt (siehe Kasten) – und zuvor Druck gemacht: Seit gestern streiken die ErzieherInnen der städtischen Kitas, heute wollen auch die angestellten Lehrer streiken und mit all dem die noch rund 150 KollegInnen in Landesdiensten unterstützen, die seit März im Ausstand sind.

„Auf und ab“ ging die Stimmung der Mahnwache vorm Rathaus, „je nachdem wie in den Medien berichtet wurde“, sagt Frank Treffenfeld vom Statistischen Landesamt, der seit gestern vorm Rathaus die Stellung hält. Dass Henning Lühr, Staatsrat im Finanzressort und damit Arbeitgebervertreter, vier Schritte weiter in sein Handy spricht, lässt die Menschen in Ver.di-Plastik nur die Schultern zucken. „Wir haben mit so vielen Politikern gesprochen in diesen Wochen“, sagt Treffenfeld. „Die Roten reden mit uns, die Schwarzen gucken weg“, so sein Kollege Friedhelm Mattern. Auch sonst seien die Reaktionen gemischt. Die Streikenden erfahren Anerkennung, Solidarität – aber auch Ablehnung. „Geht arbeiten!“. Diesen Spruch haben sie in den vergangenen Wochen häufig gehört.

„Wir würden ja gerne arbeiten – aber zu vernünftigen Bedingungen“, sagte gestern Rainer Müller, Personalrat der Kita-Beschäftigten, nachdem 500 ErzieherInnen am Morgen eine Streikversammlung im Schlachthof besucht hatten. Rund 750 der 1.000 ErzieherInnen sind bei Ver.di organisiert, davon seien rund 200 in den Streikwochen neu dazu gekommen, so Müller gestern. Anders als im Rest der Republik sind die ErzieherInnen nicht bei der Stadt, sondern beim Land angestellt – der kommunale Tarifvertrag mit Urlaubs- wie Weihnachtsgeld gilt für sie nicht. Nun streiken sie die ganze Woche mit verschiedenen Aktionen (www.verdi-bremen.de) und einem Streikcafé, das sich an Eltern richtet. Die seien „nicht begeistert“, sagt Rainer Müller, „aber sie können unterscheiden zwischen dem berechtigten Streik und ihrem Ärger“. Der Druck möge den Arbeitgebern, nicht den ErzieherInnen gelten, „damit wir endlich einen Abschluss bekommen. Sonst streiken wir weiter bis Himmelfahrt.“

Was die Arbeitskämpfer besonders nervt, die vorm Rathaus genauso wie die der Kitas: die berühmten 18 Minuten. „Eine Frechheit, unseren Streik auf 18 Minuten Mehrarbeit am Tag zu reduzieren“, heißt es an der Domsheide. „Fast jede Erzieherin arbeitet pro Tag eine Viertelstunde mehr, das kratzt die nicht“, so Müller, es gehe um Arbeitsplätze. Wenn statt 38,5 nun 40 Stunden die Woche gearbeitet werde, bedeute das für die vielen Teilzeit-Erzieherinnen eine Lohnkürzung um vier Prozent und zudem das Aus für 20 junge KollegInnen: ihre meist ohnehin befristeten Stellen fielen dann weg.

Beispiel Melika Essabar, 23, Erzieherin in der Kita Warturmer Platz. Mit einer 24-Stunden-Stelle verdient sie 835 Euro brutto, lebt bei den Eltern – „eine eigene Wohnung kann ich mir nicht leisten“ – und jobbt nebenher. Weil ihre Stelle zum dritten Mal befristet ist, war sie bereits beim Arbeitsamt, um sich ab August arbeitssuchend zu melden. „Die einzigen, die sicher wissen, dass sie kommen“, sagt Rainer Müller lakonisch, „sind die Kinder.“

Zurück vors Rathaus. „Komisch“ habe er sich am Anfang gefühlt, erzählt Mahnwacher Treffenfeld. Ob er sich lächerlich mache, habe er sich gefragt. „Mache ich nicht“, sagt er, „ich gehe für meine Sache auf die Straße. Ich tue das, was andere gerne tun würden.“