Trauriger Dudelsack

ISTANBUL SCHOOL Özcan Alpers Film „Sonbahar – Herbst“ schwelgt in schönen Bildern, statt die Erlebnisse des Protagonisten zu schildern

Warum muss das Ländliche immer parabelhaft für die Probleme der türkischen Gesellschaft stehen?

Liebes junges türkisches Kino, warum nur bist du so häufig so, wie du bist? Warum wird in deinen Filmen immer so wenig gesagt, warum setzt du so beharrlich auf großformatige Landschaftsaufnahmen, auf schneebedeckte Berge, aufs aufgewühlte Meer, warum rinnen an deinen Fenstern immer Regentropfen herunter, warum fallen vor deinen Fenstern immer Herbstblätter zu Boden, während in einer völlig unbewegten 30-Sekunden-Einstellung der Protagonist aus melancholischen Augen nach draußen blickt? Warum spielen so viele deiner Geschichten auf dem Land und in traditionellen Zusammenhängen, obwohl deine AutorInnen, meist Anfang dreißig, als „Istanbul School“ apostrophiert werden und ganz sicher auch in der Stadt beheimatet sind? Warum muss das Ländliche bei dir immer irgendwie parabelhaft für die Probleme der türkischen Gesellschaft stehen, warum liebst du die Flucht ins entfremdet Bukolische so sehr? Warum, liebes türkisches Kino, traust du dich so gut wie nie ohne Umschweife auch an die schwierigen Kapitel der Geschichte deines Landes und deiner Leute heran?

So müssen im vorliegenden Fall, „Sonbahar – Herbst“ von Özcan Alper ein paar blitzschnell eingeschnittene Archivaufnahmen von einem Gefängnisaufstand und ein paar Dialogfetzen mit einem alten Freund reichen, um klarzumachen: Yusuf, unser Protagonist, der da mit seinem Rucksack die wolkenverhangenen Berghänge zum Haus seiner Mutter emporstapft, war zehn Jahre in Haft, weil er als Student Anfang der Neunziger für den Sozialismus demonstrierte. Was Yusuf in den Jahren im Gefängnis erlebt hat, ist aber natürlich nicht Thema des Films. Die Lungenkrankheit und anhaltende traurige Sprachlosigkeit des frisch Entlassenen sollen alles sagen über Haftbedingungen und Demoralisierung.

Anstatt von ihm zu erzählen, lässt „Sonbahar – Herbst“ seinen Protagonisten in schönen Bildern nur noch vegetieren: Er muss den jahreszeitlich bedingten Veränderungen der Natur der Bergwelt zusehen, viel husten, traurig gucken, dabei viele Böse-Omen-Krähen sichten, eine unendlich traurige, ebenfalls sprachlose Romanze mit einer georgischen Prostituierten haben, einen letzten Ausflug ins Hochgebirge machen und in den Schnee starren, seiner alten Mutter unendlich traurige Weisen auf dem Dudelsack vorspielen und schließlich sterben. Letzteres auch wieder nur in Andeutung. Ach, türkisches Kino, leg doch mal die Melancholie und die Statik ab und mach Filme, die unruhig und wütend sind und die das, was wehtut, nicht nur als symbolistische Landschaftsmalerei thematisieren.

KIRSTEN RIESSELMANN

■ „Sonbahar – Herbst“. Regie: Özcan Alper. Mit Onur Saylak, Megi Kobaladze u. a. Deutschland/Türkei 2008, 106 Min.