Regiert Gott Deutschland mit?
Ja

CHRISTEN Am Mittwoch kommen zehntausende Gläubige zum ökumenischen Kirchentag in München. Die religiöse Lobby ist stark. Wenn eine türkischstämmige CDU-Ministerin Kreuze in Klassenzimmern verbieten will, löst das einen Glaubenskrieg aus

Ingrid Matthäus-Maier, 64, ist Humanistin und war Chefin der KfW-Bank

Leider. Allerdings regiert Gott nicht selbst, denn es gibt ihn nicht, dafür aber sein selbsternanntes Bodenpersonal. Dies zeigt sich schon daran, dass von den von mir mit verfassten Thesen des FDP-Papiers zur Trennung von Kirche und Staat von 1974 angesichts massiver Lobbyarbeit der beiden großen Kirchen praktisch keine umgesetzt worden ist. Sei es der Verfassungsauftrag, die Staatsleistungen an die Kirchen etwa für die Besoldung von Bischöfen abzulösen (Mixas Gehalt und Pension zahlt der Steuerzahler!). Sei es, dass der Staat Professoren der staatlichen katholischen Fakultäten auf Wunsch der Kirche gemäß Konkordat entlassen muss, wenn sie ein Grundrecht wahrnehmen (zum Beispiel heiraten, wie kürzlich in NRW), sei es der staatliche Einzug der Kirchensteuer, sei es die Erschwerung des Kirchenaustritts durch persönliches Erscheinen bei Gericht oder Standesamt. Privilegien, die dem Verfassungssatz „Es besteht keine Staatskirche“ widersprechen. Bleibt zu hoffen, dass sich dies allmählich ändert, nachdem nun ein Drittel der Bevölkerung konfessionslos ist und viele Kirchenmitglieder die Privilegien für überholt halten.

Raju Sharma, 45, religionspolitischer Sprecher der Linken im Bundestag

Gott regiert in Deutschland mit. Das ergibt sich aus der Verfassung, die sich das deutsche Volk „im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott“ gegeben hat. So steht es in der Präambel des Grundgesetzes, dem kein Gesetz widersprechen darf. Dabei widerspricht dieser Gottesbezug anderen Verfassungsgrundsätzen: der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates und der Religionsfreiheit. Der Gedanke einer „christlichen Leitkultur“ – denn natürlich ist ein christlicher Gott gemeint – ist dennoch überall präsent, nicht zuletzt als „C“ auf der Regierungsbank. Debatten über Kruzifixe in öffentlichen Gebäuden und Religion als schulisches Pflichtfach zeigen, dass Gott nicht nur da ist, wo er gut aufgehoben ist: in Herz, Hand und Hirn eigenverantwortlicher Menschen.

Rudolf Ladwig, 47, ist im Vorstand des Bunds Konfessionsloser und Atheisten

Weder Götter noch Geister oder Kobolde sind für menschliche Politik verantwortlich. Staat und Religion wurden in Deutschland nicht sauber getrennt. So wird ein katholisches Krankenhaus zu 100 Prozent aus dem Gesundheitssystem finanziert. Wiederverheiratung Geschiedener ist dort aber ein Kündigungsgrund. Es gibt keine echten Betriebsräte und es darf nicht gestreikt werden. Das Grundgesetz wird ausgehebelt. Abgeordnete und Regierungen sollten dort etwas ändern, wo sie zuständig sind: als Gesetzgeber beim Arbeitsrecht.

Nina Hagen, 55, ist Sängerin und hat eben ihr Buch „Bekenntnisse“ veröffentlicht

Ja, Gott regiert mit, denn Gott ist die Essenz und der Schöpfer des Lebens und daher gegenwärtig in jedem Teil der Schöpfung, auch im Menschen. Also kann unser Land eine segensreiche Politik genießen, wenn es durch Menschen, die sich diesem guten Schöpfergeist zuwenden, basisdemokratisch regiert wird. Ich liebe die Tatsache, dass die olle Mauer ohne Blutvergießen und ohne ratternde Maschinengewehre zu Fall kam, dank der protestierenden Menschen in der DDR, durch ihre jahrelange Solidarität, den Montagsprotesten und Treffen in den Gotteshäusern, gemeinsames Pläneschmieden, Kirche von unten, gemeinsam beten: Damals outeten sich die Menschen vereint als DAS VOLK ! Und zwar als DAS VOLK GOTTES, und zum Beweis ließ es ein wahres Wunder vom Stapel: Der friedliche Fall einer tödlichen Mauer, was wieder einmal beweist, dass einem Volk Gutes widerfährt, wenn es mit vereinter Kraft auf Gottes Hilfe vertraut. Ja, Gott(es Volk) regiert mit!

Nein

Günther Beckstein, 66, CSU, ist Vizepräses der Evangelischen Kirche in Deutschland

Wer allen Ernstes behauptet, Kirche und Religion regierten heimlich mit in Deutschland, der sei dezent auf die Gottesstaaten unserer Gegenwart verwiesen: den Iran, den Jemen oder auch Katar. Dort ist die Scharia die Basis einer Rechtsprechung ist, die mittelalterlicher gar nicht sein könnte. Wie gut geht es da den Menschen hierzulande, wo Kirche und Staat stattdessen voneinander getrennt sind. Das bedeutet freilich nicht, wir könnten auf die Kirchen verzichten – ganz im Gegenteil! Sie stehen für jene Werte, die Grundlage sind für unser Zusammenleben. Toleranz, Rücksichtnahme, persönliche Freiheit – das alles rührt von der christlichen Überzeugung her, dass der Mensch Ebenbild Gottes ist und unantastbar in seiner Würde. Genau das meint es auch, wenn in der Bayerischen Verfassung an das „Trümmerfeld“ erinnert wird, zu dem „eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen“ geführt hat. In diesem Bewusstsein bauen viele engagierte Menschen weiter an unserer solidarischen Gesellschaft – darunter auch die Kirchen und ihre Mitarbeiter. Nicht Herrscher im Lande wollen sie dabei sein, sondern Volkskirche im Wortsinn und damit Lordsiegelbewahrer unserer Freiheit.

Ali Ertan Toprak, 40, ist Vizevorsitzender der Alevitischen Gemeinde

Wir neigen dazu, aus jedem gesellschaftspolitischem Diskurs einen Kulturkampf zu machen. Lasst uns gelassen und vernünftig diskutieren. Der Säkularismus ist ein wesentlicher Baustein der Moderne: Die Trennung von Staat und Religion wurde in der Aufklärung konzipiert, dadurch wurde die Entwicklung europäischer Staaten zu Demokratien möglich. Damals gab es eine Religion, gegen die sich die staatliche Organisation abgrenzen wollte. Die Religion wurde zur Privatsache erklärt, die in der öffentlichen Sphäre keinen Platz hat. Diese strikte Trennung ist aber in der vielfältigen, modernen Gesellschaft nicht möglich. Denn Religion hat mit Identität zu tun. Sie hat ihren Ort auch in der Öffentlichkeit. Da sich dort Politik in der Demokratie vollzieht, können Religionsgemeinschaften an der Politik teilhaben. Nicht um die Trennung von Religion und Politik geht es, sondern um die institutionelle Trennung von Religionsgemeinschaften und Staat. Durch diese Trennung gewinnen beide an Freiheit: sowohl die Religionsgemeinschaften als auch der Staat. Ihre institutionelle Trennung meint keine völlige Beziehungslosigkeit. Konkrete Kooperationsverhältnisse zwischen beiden Seiten sind mit der Religionsfreiheit allerdings nur vereinbar, wenn die Zusammenarbeit nicht zur Privilegierung oder Diskriminierung bestimmter religiöser Gruppen führt. Die Basis für den Säkularismus muss in Deutschland neu gelegt werden. Wir brauchen ein „Management der Vielfalt“, mit einem Maximum an Freiheit und an Gleichheit. Dafür müssen Staat und Mehrheitsgesellschaft auf die neuen Religionsgemeinschaften zugehen. Auch die neuen Gemeinschaften müssen die über Jahrhunderte gewachsene christliche und jüdische Kultur in Deutschland und Europa respektieren.

Dirk Ossenberg, 40, hat die sonntaz-Frage auf taz.de kommentiert

Nein, es ist kein Gott, der da mitregiert, es sind Stellvertreter einer alteingesessenen autoritären Sekte, die immer noch Einfluss auf viel zu viele Dinge nehmen. Religionsfreiheit: ja! Aber auch der Staat muss religionsfrei sein! Eine Verflechtung von Staat und Kirche, wie wir sie in Deutschland haben, ist mittelalterlich. Diese Kirche ist es ja auch. Kreuze in den Schulen? Religionsunterricht? Einflussnahme findet da immer schon bei den Jüngsten statt. Unter Religionsfreiheit verstehe ich auch in diesem Fall etwas anderes. Aber leider fasst niemand das Thema ernsthaft an. Die christliche Lobby ist einfach zu stark. Das ist zwar gut für die Kirche, aber es ist leider ziemlich schlecht für den Staat.