Besessen vom German Mittelstand

TRENDTALK Tyler Brûlé, internationaler Premiumjournalist, Magazingründer und Fan von gutem Handwerk sprach im Stilwerk über den heiligen Krieg zwischen luxuriösem Service und billigen Sonderangeboten

Wer über Kaschmir-Konflikt und Kaschmir-Wolle informiert sein will, liest „Monocle“

VON JAN JOSWIG

Berlin mausert sich von pittoresk zu pompös. Letzten Winter hielt es die International Herald Tribune für angezeigt, ihre „Luxury Conference“ im Ritz Carlton am Potsdamer Platz abzuhalten. Diesen Monat eröffnet das „Soho House“, der elitäre Mitgliederclub in der ehemaligen SED-Zentrale am Alexanderplatz. Es rotten sich mittlerweile weitaus mehr Townhouses als Wagenburgen in der Stadt zusammen. Und in der Kantstraße solidarisiert sich das Design-Kaufhaus „Stilwerk“ vergleichsweise bescheiden mit dieser Entwicklung und lädt zum „Trendtalk“.

Am Dienstag sollten sich im luftig durchfensterten fünften Stock des Stilwerks die Podiumsgäste Tyler Brûlé, Jamie Hayon und Birgit Gebhardt über die vier neuen Großtrends verständigen. Hinter dem Podium wurde eine Werkschau des spanischen Ex-Skaters und Designkomödianten Jamie Hayon projiziert, aber der eigentliche Star des Abends war Tyler Brûlé, der dynamische Sportsman hinter der Kosmopolitenbibel Monocle.

Es ist alles premium, was Tyler Brûlé anfasst. Magazindesign heißt das Spiel, bei dem er mit weißen Glacéhandschuhen die edelsten Karten legt. Als Journalist robbte er für den Guardian, für Vanity Fair oder den Stern durch den Dreck der Welt. Den wusch er sich vom Leib mit seiner Magazingründung Wallpaper. Mit dem geleckten, porentief durchgestalteten Designheft legte er 1996 die Lifestyle-Latte so hoch, dass er 2001 von der British Society of Magazine Editors mit 33 Jahren für sein Lebenswerk geehrt wurde – ein Jahr später kehrte er Wallpaper den Rücken.

Vergeistigte Minuskeln

Im Jahr 2007 synthetisierte er seine Interessen als Premiumjournalist in seiner zweiten Magazingründung: Monocle schließt den verantwortungsbewussten Weltbürger mit dem genießerischen Lebemann kurz. Wer über den Kaschmir-Konflikt und über die Kaschmir-Wolle informiert sein will, der liest Monocle. Heft und Macher decken sich. Monocle ist der Zwillingsbruder, den sich Tyler Brûlé aus der Rippe geschnitten hat. Die Welt erfliegt er sich im Luxusleben auf der Überholspur, schwört dabei aber wertkonservativ auf einen seelenvollen Kulturkonsum. Das Schöne ist ihm intellektuell-moralische Herausforderung, darunter macht er es nicht. Das sieht man schon an den vergeistigten Minuskeln der Typo.

Beim „Trendtalk“ schützt er Jamie Hayon vor der „Trendbüro“-Mitarbeiterin Birgit Gebhardt, die die zentralen Schlagworte aus der dritten „Trendstudie“ von Trendbüro und Stilwerk zur Diskussion stellt. Der Designer Jamie Hayon soll sich zwischen „Neo-Barock“ und „Hysteric Wonderland“ wohlfühlen. Das tut er sichtlich nicht. Trends interessieren ihn nicht; er hört auf sein drittes Auge; Blut und Tränen sind programmiert, wenn er mit großen Firmen kooperiert: „Ich leide, wenn ich mit Konzernen zusammenarbeite.“ „Die Konzerne leiden auch“, wirft Tyler Brûlé ein, „sonst wäre es keine Kooperation.“

Koffer nur von Rimowa

Nun umarmen sich geradezu die Seelen dieser beiden Männer mit den umgeschlungenen Schaltüchern. Jamie schwört auf überliefertes Handwerk, Tyler ist besessen vom „German Mittelstand“, er schwärmt von handgemachtem Nürnberger Baumkuchen, der sich in Japan als großer Renner entpuppt. „Es ist so befreiend, mit einem Provinzbetrieb zusammenzuarbeiten, der sich seit Generationen auf eine Profession konzentriert, in diesen Zeiten, in denen jeder jede Sekunde die Hosen auf Facebook runterlässt“, singen sie unisono.

Dann gibt Tyler Brûlé den versammelten Studenten und Möbelhändlern ein paar Lebensweisheiten an die Hand, um im neuen pompösen Berlin nicht ins Hintertreffen zu geraten: „Reisen ist das A und O, bleiben Sie dem Internet so oft fern, wie es eben geht.“ „Der heilige Krieg der Zukunft entbrennt zwischen luxuriösem Service und billigen Sonderangeboten.“ „Wenn Sie im Fenstergewerbe arbeiten, gehen Sie nach England. Unsere zugigen Fenster brauchen Ihre deutsche Kompetenz.“ „Benutzen Sie nur Reisegepäck von Rimowa.“ Bei so viel launigem Charme hatte man ihm schon fast verziehen, dass in der ersten Ausgabe von Monocle Unter den Linden als die Berliner Straße mit den angesagtesten Boutiquen angepriesen und die Charlottenburger Fasanenstraße in das neue, hippe Ostberlin verlegt wurde. Aber ganz zum Schluss leistet er sich wieder so einen unnötigen Sachfehler. „Wer zu schüchtern war, um uns auf dem Podium eine Frage zu stellen, der kann das jetzt gerne bei einem Gläschen Wein nachholen.“ Nur, ein Gläschen Wein wurde partout nicht angeboten. Da holte den Weltbürger Tyler Brûlé die pittoreske Berliner Wirklichkeit ein.