Minus 106 Fußballfelder pro Tag

DICHT Die Flächenversiegelung in Deutschland nimmt weiter zu, wenn auch weniger schnell als noch vor Jahren. Umweltexperten geben trotzdem keine Entwarnung. Nur zögerliches Umdenken in der Politik

Statt Neubau müsse auf Um- und Rückbau gesetzt werden, fordert der BUND – doch das kostet

BERLIN taz | Jeden Tag werden in Deutschland Flächen von 106 Fußballfeldern, das sind gut 74 Hektar, infrastrukturell neu genutzt. Das belegen die am Donnerstag veröffentlichten Zahlen zur Siedlungs- und Verkehrsfläche des Statistischen Bundesamtes.

Demnach hat die Fläche von 2009 bis 2012 um 2,3 Prozent auf 13,5 Prozent zugenommen. Die „Siedlungs- und Verkehrsfläche“ ist nicht nur „versiegelte Fläche“, sondern umfasst auch einen erheblichen Anteil unbebauter Flächen, wie etwa Grünflächen.

Im letzten Berechnungszeitraum 2008 bis 2011 hatte die tägliche Neunutzung noch 81 Hektar betragen. Die Zunahme hat sich damit verlangsamt. „Das ist eine positive Entwicklung“, sagt Norbert Portz, Umweltexperte vom Deutschen Städte- und Gemeindebund.

Der Deutsche Bauernverband (DBV) sieht die Zahlen dagegen kritisch: „Vom Nachhaltigkeitsziel sind wir noch weit entfernt“, sagt Steffen Pingen, Umweltreferent des DBV. Bis zum Jahr 2020 will die Bundesregierung die tägliche Neuinanspruchnahme von Flächen auf 30 Hektar reduzieren. „Die bisherigen Schritte reichen aber nicht aus“, sagt Pingen.

Das sieht auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) so, der die Bundesregierung „nicht mal halbwegs unterwegs zum Ziel“ sieht. BUND-Verkehrsexperte Werner Reh kritisiert gegenüber der taz: „Die Verkehrsminister sind doch die Männer für den Spatenstich.“ Dabei, fordert Reh, müsse statt auf Neubau auf Um- und Rückbau gesetzt werden, und anstatt auf Straßen auf Bahn und Schiff.

Der BUND fordert denn auch „null Hektar Flächenversiegelung statt 30“. „Da fehlen Vorgaben, da weist der Bürgermeister Gewerbeflächen aus, die der Wirtschaft entgegenkommen“, sagt Reh. Wo durch den demografischen Wandel die Bevölkerungszahlen sinken, müssten aber Rückbauprogramme Flächen und Straßen entsiegeln und die Innenstadtentwicklung vorantreiben. Dazu müsse der Bund Anreize geben für die Kommunen, auch durch die Städtebauförderung.

455 Millionen Euro bekommen Kommunen jährlich aus der Städtebauförderung des Bundes, sagt Norbert Portz, der das Nachhaltigkeitsziel von 30 Hektar eher als „Orientierungsgröße“ sieht. „Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein.“

Ein Umdenken in Richtung Innenstadtausbau und Um- statt Neubau, sagt Portz, habe dennoch bereits stattgefunden. Allein, weil die Bebauung von Außenbereichen teurer sei. Die Anzahl von Baugenehmigungen gehe seit den 90er Jahren zurück. Bei der Aktivierung von Brachflächen im Innenbereich hapere es aber auch an Regelungen, etwa zum Emissions-, Natur- und Lärmschutz. KATHARINA LÜBKE