Ein Kapitän neuen Typs

Dirk Nowitzki ist der einzige echte Star der Dallas Mavericks. Sein mannschaftsdienliches Spiel könnte ihm den Titel des wertvollsten Spielers der NBA einbringen und seinem Team die Meisterschaft

AUS NEW YORK SEBASTIAN MOLL

Als die Dallas Mavericks 2003 im NBA-Halbfinale dem späteren Champion San Antonio sechs hart umkämpfte Spiele abrangen, glaubte man, dies sei die Geburtsstunde der Basketball-Mannschaft der Zukunft gewesen. Den Kern der Texaner bildeten drei junge Männer mit außergewöhnlichem Talent: Steve Nash, Michael Finley und Dirk Nowitzki. Es schien nur eine Frage der Zeit, bis sie reifen, zusammenfinden und eine unschlagbare Truppe formen.

Aber es kam anders: Team-Besitzer Mark Cuban ließ Nash und Finley gehen, und Nowitzki blieb allein zurück, umringt von einer Riege relativer Nobodys, gecoacht vom jungen Trainer Avery Johnson. Das erschien zunächst wie eine Tragödie, stellte sich jedoch wider Erwarten schnell als Glücksfall heraus. In den Play-offs, die an diesem Wochenende beginnen, sind die Mavericks mehr denn je ein ernsthafter Titelkandidat: „Unser Ziel ist die Meisterschaft“, sagt Dirk Nowitzki. „Und ich glaube, wir sind in diesem Jahr ganz dicht dran.“

Anders als zur Zeit der Big Three in Dallas – Nash, Nowitzki und Finley – ist Nowitzki heute der einzige Star und unbestrittene Leader der neuen Mavericks. Auch sonst ist beinahe alles anders in Dallas. Mit den Big Three waren die Mavs ein unorganisiertes „Run and Gun“-Team, das eine unbändige, undisziplinierte Offensive spielte und die Defensive weitgehend vernachlässigte. Jetzt ist Nowitzkis Mannschaft ein organisiertes, variables Team, das ebenso gut verteidigt, wie es angreift.

Nowitzki und Johnson – mit dem Nowitzki zu dessen aktiver Zeit noch zusammen gespielt hat – haben die Mavericks umgeformt. Dazu haben sie sich die erfolgreichsten Teams der Liga genau angeschaut: Die Detroit Pistons und die San Antonio Spurs, die auch in diesem Jahr wieder die Hauptkonkurrenten um den Titel sind: „Detroit und San Antonio verkörpern den Stil, den man braucht, um heutzutage zu gewinnen“, sagt Nowitzki.

Er hat bei diesen Beobachtungen offenbar viel gelernt, denn in diesem Jahr ist es vor allem er, der den Basketball-Stil der Zukunft verkörpert. Seine Statistiken sind zwar ein wenig schlechter als in der vorangegangenen Saison. Das Statistik-verrückte Amerika beginnt jedoch in der Person von Dirk Nowitzki zu erkennen, dass man die Klasse eines Spielers nicht allein in Zahlen messen kann. Nowitzki wird für die Wahl des Liga-MVPs – des wertvollsten Spielers – hoch gehandelt. „Dirk hat sich zurückgenommen, um seine Mannschaftskollegen besser ins Spiel zu bringen. Er verteidigt besser denn je, und er ist der beste Dreipunktewerfer aller 2,10 Meter-Männer“, lobt Lang Whitaker vom Basketball-Fachmagazin Slam den Deutschen.

Nowitzki ist ein Kapitän des neuen Typs, kein Egoist und Selbstdarsteller wie etwa Kobe Bryant, denen der eigene Glanz alles und der Mannschaftserfolg nichts bedeutet. Nicht selten wird Nowitzki deshalb mit Tim Duncan verglichen, dem Kapitän des Dreifach-Champions San Antonio: „Ich sehe in Dirk das Gleiche, was ich in Duncan gesehen habe“, sagt Mavericks-Coach Avery Johnson. „Duncan wusste, was er kann. Aber es ging ihm immer nur um die Mannschaft. Sie sind selbstlos, diese Typen. Und extrem gut trainierbar.“

Spieler wie Duncan und Nowitzki verstehen das System und nehmen willig ihren Platz darin ein. So wie brillante Solisten in einem Orchester, die stets nur den Klang des gesamten Ensembles im Ohr haben. Dazu passt es, dass Nowitzki sagt, die Wahl zum MVP bedeute ihm nur wenig: „Ein MVP ist ein Spieler, ohne den sein Team nichts ist. Ich bin kein MVP. In unserer Mannschaft sind zwölf Jungs, die zum Erfolg beitragen“, so Nowitzki.

Die Jury hat sich freilich Nowitzki genau aus dem Grund ausgeguckt, dass er seine Mannschaftskameraden trotz seiner überragenden Fähigkeiten ins Spiel bringt. Die Zeit der Egoisten in der NBA ist vorbei – den Lakers von Rekordwerfer Kobe Bryant etwa wird kaum zugetraut, über die erste Play-off-Runde hinauszukommen. Für die Dallas Mavericks hingegen sind die Play-offs so offen wie die texanische Steppe.