Die Rendite zieht ins Hinterhaus

Das Wohnprojekt „Heller Hinterhof“ existiert seit über 20 Jahren. Im Jahr 2004 wurde das Haus der Wohnungsbaugesellschaft GSW an einen Investor verkauft. Jetzt droht der Kreuzberger Idylle das Aus

„Die können uns nicht kündigen nach all dem, was wir gemacht haben“, so die Mieter

Von SOPHIE DIESSELHORST

Die Eingangstür des beige angestrichenen Mietshauses lässt sich ohne Schlüssel öffnen. Ein kurzer Korridor führt auf den Hof. Links vom Pfad, der zum Hinterhaus führt, liegen ausrangierte Heizkörper, Holzplatten und anderer Müll: Im Vorderhaus wird renoviert. Rechts ist ein kleiner Garten angelegt. Beinahe spießig sieht er aus. Ein penibel begrenzter Streifen Blumenbeet säumt ein kleines gepflastertes Rund.

Am Klingelschild des Hinterhauses steht „Heller Hinterhof“, darunter sechs Namen. In der großen Küche im Erdgeschoss riecht es nach Kaffee. Silke Veth, ihr Name ist einer der sechs auf dem Klingelschild, sitzt auf einem Sofa am Küchentisch und beugt sich stirnrunzelnd über einen dicken Aktenordner.

Er enthält die Geschichte des alternativen Kreuzberger Wohnprojekts Heller Hinterhof. Wenn es nach dem neuen Eigentümer des Hinterhauses geht, wird er nicht dicker werden. Am 28. Februar hat er dem Hellen Hinterhof seinen Mietvertrag gekündigt. Knapp ein Jahr haben die sechs Mitglieder des Wohnprojekts nun Zeit, sich eine neue Bleibe zu suchen – oder um ihr Hinterhaus zu kämpfen.

„Der Helle Hinterhof ist ein eingetragener Verein. Die Vereinsmitglieder sind zugleich die Bewohner des Hinterhauses. Eintreten kann nur, wer dort wohnen will. Wenn einer auszieht, verliert er zugleich die Mitgliedschaft“, erklärt Silke Veth. Die Miete werde von einem gemeinsamen Vereinskonto überwiesen, auf das die einzelnen Mitglieder ihren Beitrag einzahlen.

Das Hinterhaus war dem Verein Anfang der 80er-Jahre zu besonderen Bedingungen überlassen worden. „In den ersten zehn Jahren lag unsere Miete unter dem Mietspiegel. Danach ist sie staffelweise an das ortsübliche Niveau angeglichen worden. Wir zahlen jetzt 840 Euro Kaltmiete für 285 Quadratmeter“, erzählt Michael Cremers, der seit zwei Jahren hier wohnt.

Diese Art von Kooperation habe es damals vielerorts gegeben. „Der Senat wollte die Hausbesetzer befrieden. Die, die landeseigene Wohnungen besetzten oder Bedarf an Wohnraum anmeldeten, konnten einen Selbsthilfeverein gründen und so als legale Mieter in ihren Häusern wohnen bleiben oder bekamen wie in unserem Fall ein Haus überlassen – unter der Voraussetzung, dass sie sich um Sanierung und Instandhaltung kümmerten.“ Im Fall des Hellen Hinterhofs, dessen Gründungsmitglieder aus der Hausbesetzerszene kamen, habe das ganz wunderbar geklappt.

Das bestätigt Sascha Krieger, Sprecher der Wohnungsbaugesellschaft GSW: „Zu Problemen mit dem Mieter ist uns nichts bekannt.“ Lange Jahre hatte das Haus der landeseigenen Gesellschaft gehört. 2004 wechselte es mit der GSW den Besitzer: Die Wohnungsbaugesellschaft wurde privatisiert, ihre Wohnungen kaufte der angloamerikanische Investmentfonds Cerberus und Whitehall auf. Einen Teil der Bestände veräußerten die Investoren an kleinere Fonds. So auch das Haus, in dem der Helle Hinterhof seit mehr als 20 Jahren ungestört existiert hatte.

Der neue Besitzer heißt cicon invest und hat seinen Sitz in Österreich. „Wir kaufen günstige Häuser, sanieren sie und vermieten sie zu höherem Mietzins weiter.“ So beschreibt Gregor Michalek, Geschäftsführer von cicon invest, seine Tätigkeit. Der Helle Hinterhof habe sich gegen eine Zusammenarbeit gesperrt. „Wir wollten eine Klingelanlage einbauen und endlich auch die Räume im Hinterhaus, die immer noch Ofenheizung haben, mit Zentralheizung ausstatten“, sagt Michalek. Das Wohnprojekt habe abgelehnt, weil sich daraus eine Mieterhöhung um 10 Euro pro Monat ergeben hätte.

Silke Veth erzählt eine andere Version: Zur Installation einer Klingelanlage habe der Helle Hinterhof bei cicon invest den Anstoß gegeben, und auch gegen den Einbau einer Zentralheizung hätten die Mitglieder des Wohnprojekts nichts einzuwenden. „Wir würden auch eine Mieterhöhung in Kauf nehmen“, so Veth. Doch sowohl Klingelanlage als auch Zentralheizung ließen auf sich warten.

Die sechs Vereinsmitglieder bewohnen ihr Hinterhaus wie ein großes Familienhaus. Es gibt ein großes gemeinschaftliches Wohnzimmer, und die Zimmer, die ehemals als einzelne Wohnungen abgetrennt waren, stehen offen. Die Wände im Flur sind liebevoll rot und silbern gestrichen, die Fensterbänke in der Küche leuchten gelb. Vier der Vereinsmitglieder arbeiten, eine schreibt gerade an ihrer Doktorarbeit, und einer ist arbeitslos. Alle sind sie zwischen dreißig und vierzig Jahren alt. „Die WG ist für mich mehr als eine Familie“, sagt Silke Veth.

Der Verein hat viel in das Hinterhaus gesteckt: „Im Erdgeschoss haben wir Fenster und Böden erneuert und eine Küche eingebaut. Außerdem haben wir drei Toiletten und zwei Bäder installiert, eins davon mit Gastherme und Heizkörper“, sagt Michael Cremers. Er zeigt ein Foto, auf dem zu sehen ist, wie das Haus aussah, bevor der Helle Hinterhof dort wohnte: Die Fassade bröckelt, statt Fenstern klaffen Löcher. „Die können uns nicht einfach rausschmeißen nach all dem, was wir an dem Haus gemacht haben“, sagt Cremers.

Angefangen habe der Ärger im November 2004 mit einer Inspektion von Vorder- und Hinterhaus. „Später haben wir erfahren, dass die GSW eine Wohnwertanalyse in Auftrag gegeben hatte“, erzählt Cremers. Am 20. September 2005 sei dann ein Brief von der GSW gekommen. Mit der Mitteilung, dass der Eigentümer des Hauses gewechselt habe und mit dem Versprechen, dass sich nichts ändern werde.

„Wir kaufen Häuser, sanieren sie und vermieten sie weiter“, so der Investor

Knapp zwei Monate später tauchte der neue Eigentümer zum ersten Mal auf: In Person des Geschäftsführers von cicon invest, Gregor Michalek. „Er wollte unseren Mietvertrag sehen und hat uns ausgiebig über unseren Verein befragt“, erinnert sich Silke Veth. „Wir hatten alle den Eindruck, dass wir mit ihm gut kooperieren könnten. Doch Ende Dezember kam ein Brief mit der Androhung einer Kündigung, die mit einer angeblichen illegalen Untervermietung begründet wurde. Das ist Quatsch.“ Auf den Tag zwei Monate später folgte die Kündigung. Ohne Begründung.

„Unser Problem ist, dass der Mieter des Hinterhauses der eingetragene Verein Heller Hinterhof ist, also eine juristische Person“, sagt Michael Cremers. Die Kündigung beruhe auf der Annahme, dass eine juristische Person nur in einem Gewerbemietvertrag Mieter sein kann. Und im Gegensatz zu einem Wohnmietvertrag zwischen Vermieter und Privatperson kann ein Gewerbemietvertrag unter Einhaltung festgelegter Fristen ohne Begründung gekündigt werden. „Oben auf unserem Mietvertrag steht aber Mietvertrag für Wohnräume. Wir haben die Räume nie gewerblich genutzt“, argumentiert Cremers dagegen.

Zusammen mit seinen Mitbewohnern überlegt er sich nun, die Kündigung vor Gericht anzufechten. Joachim Oellerich, Sprecher der Berliner Mietergemeinschaft, schätzt die Chancen für den Hellen Hinterhof gut ein: „Weil sie Mietspiegelmieten zahlen, haben sie gute Aussichten, als private Mieter anerkannt zu werden.“ Es gäbe zwar aus den 90er-Jahren ein Urteil des Bundesgerichtshofes, demzufolge ein Verein als juristische Person nur einen Gewerbemietvertrag abschließen kann. „Es mag aber sein, dass das Landgericht Berlin das in diesem Fall anders sieht“, gibt sogar Frietjof Stielow zu, der Anwalt von cicon invest.

„Der Helle Hinterhof ist kein Einzelfall. Wo private Investoren öffentliche Wohnungen aufgekauft haben, verändert sich die Lage für die Mieter. Die Wohnungen werden oft so teuer saniert, dass sie gezwungen sind auszuziehen, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten können. Viele Investoren wollen die gekauften Mietwohnungen auch zu Eigentumswohnungen machen. Also müssen sie die Mieter entweder dazu bringen, dass sie ihre Wohnung kaufen, oder dazu, auszuziehen“, erklärt Oellerich.

Der Kaffee ist mittlerweile kalt geworden. Silke Veth schaut nachdenklich aus dem Küchenfenster auf das Gärtchen. „Im Sommer stellen wir da immer unsere Balkonmöbel hin und essen zusammen im Hof.“ Was die Leute vom Hellen Hinterhof machen, wenn sie aus ihrem Hinterhaus ausziehen müssen, wissen sie noch nicht. Revival der Besetzerzeit? Cremers schüttelt den Kopf: „Daran wollen wir gar nicht denken. Wir rechnen im Augenblick noch damit, dass wir uns friedlich mit dem neuen Besitzer einigen können.“