Windows hinter Glas

KUNST Photoshop, Google, Windows, YouTube. Der holländische Medienkünstler Constant Dullaart verhandelt in seiner Kunst die Wahrnehmung im digitalen Zeitalter. Die stellt er gerade in zwei Galerien gleichzeitig aus

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

Manchmal muss man etwas erst verdecken, um es sichtbar zu machen. An die Brille erinnert man sich erst, wenn sie geputzt werden muss. Dass man die Welt da draußen durch ein Fensterglas sieht, fällt einem erst auf, wenn die Scheibe verkratzt ist. Und dass wir die Internetdaten auf unserem Computer via eine Software sehen, erinnert man auch erst wieder, wenn der Browser scheinbar nicht mehr funktioniert und die Webseiten hinter einem milchigen Film verschwinden – so wie bei der Arbeit „Untitled (Internet)“ des holländischen Medienkünstlers Constant Dullaart.

Wer untitledinternet.com in seinem Browser eingibt, surft plötzlich durch ein Web, das hinter einem Schleier aus halbdurchsichtigem Gekrakel liegt. Das sieht dann so aus, als würde man die Homepage von Google durch die verkratzen Fenster der Berliner U-Bahn betrachten.

Überhaupt, Google – ein unerschöpfliches Thema für Dullaart: In seiner Arbeit therevolvinginternet.com dreht sich die Suchseite des Internet-Unternehmens zu den Klängen von Dusty Springfields „Windmills of the Mind“ auf dem Monitor um sich selbst. Bei „Terms of Service“ (therevolvinginternet.com/TOS/) wird die Suchmaske zum Mund. Der liest die Geschäftsbedingungen von Google vor, die jeder User durch die Nutzung der Suchmaschine automatisch akzeptiert, ohne sie überhaupt zu kennen. Mit solchen Arbeiten war Dullaart (kein Künstlername, wie er betont) in den letzten zwölf Monaten bei mehr als 30 Ausstellungen in der ganzen Welt eingeladen. Jetzt hat der 34 Jahre alte Holländer, der seit vier Jahren in Berlin lebt, seine erste Einzelpräsentation in der Stadt – und zwar gleich als Doppelpack in den Schöneberger Galerien Import Projects und Future Gallery.

Ein Stück Geschichte

Im Mittelpunkt der Ausstellung steht ein Stück fast vergessener Computergeschichte: das Bild „Jennifer in Paradise“, das der Photoshop-Erfinder John Knoll Ende der 80er Jahre gerne bei Präsentationen benutzte, um die Möglichkeiten des Programms zu demonstrieren, und das sich als frühes Internet-Mem im Netz verbreitete. Die Software selbst ist längst zum Inbegriff der digitalen Bildbearbeitung geworden. Aber das Bild, das Knolls Ehefrau Jennifer an einem tropischen Traumstrand zeigt, war inzwischen schwer zu finden. Dullaart musste es aus einem Dokumentarvideo herauskopieren und ausgerechnet mit Photoshop nachbearbeiten, um es wieder sichtbar zu machen. „Seit Photoshop glaubt niemand mehr an die Authentizität von Fotos“, erklärt Dullaart die Bedeutung des Programms. „Jeder weiß, dass die meisten Bilder, die wir heute sehen, mit dem Computer bearbeitet sind.“ In der Ausstellung sind in dem Bild verschlüsselte Nachrichten verborgen – für Dullaart ist im Zeitalter von Prism die Steganografie die letzte Methode, noch unbeobachtet zu kommunizieren.

Um seine Kunst aus dem immateriellen Reich der Internetdaten in den physischen Raum der Galerie zu übertragen, hat er sich einer vom Aussterben bedrohten Technik erinnert: Strukturglas. Bei dem Kreuzberger Traditionsbetrieb H.-C. Schreiber fand er Scheiben von geriffeltem, gemustertem oder Milchglas – einige von ihnen die letzten Bestände im Lager der Firma. Über Fotos gelegt funktionieren sie in der Ausstellung als eine Art dinglicher Photoshop-Filter, der Reiseschnappschüsse von Photoshop-Erfinder Knoll und Websites von Dullaart verfremdet. Für andere Glasarbeiten kooperierte er mit dem niederländischen Glasmuseum und fand heraus, dass es auch im Zeitalter des 3-D-Druckers noch 30 Stunden dauert, bis man ein bisschen digitales Mouse-Gekritzel in eine Glasscheibe eingraviert hat.

So ist der Künstler vom Internet zum Sujet des Fensters gekommen, das in der Malerei spätestens ein Thema ist, seit Leon Battista Alberti in „De Pictura“ (1435) das Bild als Fenster beschrieb und damit die Grundlage für die Entwicklung der Renaissance-Perspektive legte. Seither lenken Fenster und ihre Rahmen in Gemälden oft die Wahrnehmung des Betrachters, ein visuelles Organisationsprinzip, das mit Microsofts Betriebssystem Windows letztlich wieder zur Software geworden ist.

Selbst das Fenster der Future Gallery hat Dullaart zum Computer-Window gemacht: Auf dem Glas klebt der rote Pfeil, den man klicken muss, um bei YouTube ein Video zu starten. Manchmal genügt eine kleine Geste, um einem bewusst zu machen, wie sehr unsere Wahrnehmung inzwischen durch Darstellungskonventionen des Rechners geprägt ist: Dank des Stickers wird alles, was sich hinter der Glasscheibe abspielt, zum Äquivalent eines YouTube-Clips. Für Dullaart repräsentiert dieses Icon auch eine Form des amerikanischen Kulturimperialismus. „Wenn YouTube aus Deutschland käme, sähe dieser Startknopf ganz anders aus“, ist er sich sicher.

■ „Jennifer in Paradise“ ist bis zum 5. Oktober bei Future Gallery, bis zum 23. Oktober bei Import Projects zu sehen