Flieder für Rosa

Hymnen auf die Natur: Politkünstler Gerd Stange erinnert an die poetischen Briefe der Agitatorin, die 1900 ihre erste Hamburger Rede hielt. Und richtet den „Arme-Leute-Garten“ als Gedenkort ein

von Petra Schellen

Wenn man im Gefängnis sitzt, wird man sentimental. Erwärmt sich für Dinge, die einen nie interessierten – besonders dann, wenn die Hoffnung schwindet, je wieder freizukommen.

Etliche Erklärungsmodelle mag es geben für neu entdeckte Facetten politischer Persönlichkeiten – doch für Rosa Luxemburg stimmt all dies nicht: Lange bevor sie zur politischen Agitatorin wurde, lange vor ihren Gefängnisaufenthalten, hatte sie ihre Liebe zur Natur entwickelt – in Zürich studierte sie neben Ökonomie, Philosophie und Jura auch Zoologie. Am 13. Dezember 1900 hielt Rosa Luxemburg, die schon mit 14 Jahren Protestbriefe an Kaiser Wilhelm schrieb, ihre erste Hamburger Rede über „Weltpolitik und Sozialdemokratie“. Der Ort: das Eimsbütteler Vereinshaus Fruchtallee, das damals Sottorf hieß.

Wichtig für den Hamburger Politkünstler Gerd Stange ist allerdings das Areal gegenüber, Wehbers Park genannt – mit einem winzigen Stück „Arme-Leute-Garten“ darin. Von einer Buchsbaumhecke ist er umgeben, Parkbänke finden sich auch – doch Gerd Stange reicht das nicht: Ein kleines Abbild von Luxemburgs Gefängnisgarten aus Wronke in der Nähe von Posen soll das 1.500 Quadratmeter große Areal werden, um zu erinnern an das, was Luxemburg-Biographen gern verschweigen: dass sie poetisch und einfühlsam über Tiere und Pflanzen schrieb, dass sie Goethe, Hölderlin und Mörike liebte – Facetten, die kaum zu einer kommunistischen Agitatorin passen, die an Pragmatismus, Symmetrie und die systematische Formbarkeit der Welt zu glauben hat.

Eine Erklärungstafel und der von Rosa Luxemburg so geliebten Flieder sollen künftig den Garten zieren. Vor wenigen Tagen hat das Eimsbüttler Bezirksamt die Geld bewilligt. Die Umbenennung des Arme-Leute-Gartens in „Ein Gartenstück für Rosa Luxemburg“ soll folgen; ein entsprechender Antrag läuft.

Und wenn es auch denen, die sich den Typus des linken Agitatoren schon zurechtgezimmert haben, nicht ins Konzept passt, so sprechen Luxemburgs Briefe aus dem Gefängnis eine deutliche Spache. Vom Mitleid mit geprügelten Büffeln schreibt sie da; ein anderes Mal hat sie durch vorsichtige Fühlerberührung ein Pfauenauge wiederbelebt. Die Zugvögel mögen eine nahe liegende Metapher sein für die Sehnsucht einer Gefangenen, doch bei Luxemburg fliegen Raub- und Singvögel friedlich vereint gen Süden. Wozu Feindschaft pflegen, wenn es um Wichtigeres geht?

„Mein innerstes Ich gehört mehr meinen Kohlmeisen als den Genossen. Und nicht etwa, weil ich in der Natur, wie so viele innerlich bankrotte Politiker, ein Refugium finde. Im Gegenteil, ich finde auch in der Natur so viel Grausames, dass ich sehr leide.“ Als Teil der Natur empfand sie sich, einer Natur, die für Luxemburg komplementäre Welt war, nicht Vehikel zur leichten Flucht. Zwischen 1913 und 1918 ist ihr „Herbarium“ entstanden, eine Mappe mit gepressten, collagenartig arrangierten Blättern, die im Amsterdamer Institut für Sozialgeschichte ausgestellt ist.

Facetten, die Gerd Stange, der nie müde Kämpfer um Würde für die vom Gedenken Vergessenen, bewogen, das Parkstück zum Ort Luxemburg‘scher Poesie zu machen – sowohl literarisch als auch ganz konkret botanisch. Texte und Gedichte von Heinrich Heine und Vladimir Majakowskij sowie Briefe, die Rosa Luxemburg an Sophie Liebknecht und ihre Sekretärin Mathile Jacob schrieb, werden Peggy Parnass und der Künstler Rolf Zander am 7. Mai dort lesen.

Weitere Termine sollen folgen. Nicht um zu konterkarieren, was man bislang über die Luxemburg las. Sondern um zu ergänzen. Und um nochmals – und gar nicht in erster Linie aus politischen Motiven, wie Gerd Stange betont – zu demonstrieren, dass jeder Versuch eines stringenten Persönlichkeitskonstrukts scheitern muss.