Kirgisien als Vorbild

ZENTRALASIEN Anders als in den Nachbarstaaten schuf die Tulpenrevolution eine Zivilgesellschaft. Ihre Reste sorgten nun für den politischen Umsturz

■ ist em. Professor für Soziologie an der Uni Potsdam. Demnächst erscheint der von ihm edierte Band zu Transformationen des Informellen und der Institutionen in Übergangsgesellschaften: „Transformation of the Informal“.

Die nun gechasste Regierung Kurmanbek Bakijew war mit der Tulpenrevolution von 2005 an die Macht gekommen, aber spätestens seit 2007 handelte auch sie zunehmend repressiv. Gesicherte Informationen gab es zuletzt fast nur noch im Internet, oppositionelle Politiker und Journalisten wurden bedroht, von einer willfährigen Justiz abgeurteilt oder auf mehr oder weniger geheimnisvolle Art ermordet. Wer konnte, floh.

Gleichzeitig übernahmen immer öfter enge Freunde und Verwandte des Präsidenten die Schaltstellen in Politik und Wirtschaft. Bakijews Sohn Maxim profilierte sich als Nachfolger und als Mann fürs Grobe. Wie in vergleichbaren Ländern üblich, hatte sich eine Herrschaftsgruppe an der Spitze festgefressen und wollte dort bleiben. Erstaunlich ist, dass es jetzt trotzdem zu einer erfolgversprechenden Revolte kommen konnte.

Kampf um die Wasserwerke

Die öffentliche Empörung ist verständlich und nachvollziehbar. Das ohnehin arme Land war unter Bakijew noch ärmer geworden. Und dann wurden plötzlich die Preise vor allem für Energie um 20 Prozent heraufgesetzt. Energie wird in Kirgistan insbesondere durch Wasserkraftwerke gewonnen; sie sind das wirtschaftliche Rückgrat des Landes. Geleitet wurden die Werke von Gefolgsleuten und Verwandten Bakijews. Unterschlagungen waren eine der wichtigsten Quellen ihres privaten Reichtums.

Wie überall, wo die Kontrolle fehlt, füllte sich auch hier das Leitungspersonal die Taschen. Die Kritik an der radikalen Privatisierung der Umsätze wird mithilfe der Repressionsapparate zum Schweigen gebracht. Sonst könnte es ja zu Aufständen, Plünderungen und Straßengewalt kommen. Umso bemerkenswerter ist es, dass in Kirgisien nach drei Jahren Repression noch eine kompetente Opposition bereitstand, die in der Lage war, den Umsturz durchzuführen.

Zuweilen wird dieser Opposition jetzt angekreidet, dass ihre Vertreter unter Bakijew und teilweise schon unter seinem Vorgänger Askar Akajew politische Ämter bekleideten. Dass die Macht also in gewisser Weise innerhalb einer Elite zirkuliere und sich nun eben ein Teil von ihr an die Staatsspitze putsche. Ganz falsch ist diese Sicht nicht. Aber genau in der Erfahrung liegt ja die administrative und politische Kompetenz des neuen Führungspersonals.

Auch in demokratischen Staaten erreicht man die Führungsebene nicht vorrangig durch Kompetenz, Moralität oder Nettigkeit. Auch hier will oben bleiben, wer oben angekommen ist. Auch hier bedürfen die Machthaber verlässlicher Bundesgenossen, die von ihrer Loyalität profitieren wollen. Allerdings stehen in demokratischen Staaten der politischen Spitze die Machtmittel nicht unkontrolliert zur freien Verfügung: Erstens gibt es eine Justiz, die argwöhnisch kontrollieren darf, ob die Legalität eingehalten wird, zweitens gibt es Medien, die dubiose Vorgänge öffentlich machen dürfen, und drittens ist ein hinreichend großer Teil der Bevölkerung politisch interessiert.

Kirgisische Demokratieansätze

Solche Verhältnisse wollten die demokratischen Oppositionsbewegungen in allen Nachfolgestaaten der Sowjetunion herstellen. In Mittelasien hatten sie dazu nie eine Chance – außer in Kirgisien. Denn zumindest zu Beginn ihrer Amtszeit führten auch die Präsidenten Akajew und Bakijew ihre Regierungen in diesem Sinne.

Askar Akajew war über die Physik in die Wissenschaftsverwaltung und über sie in die Politik geraten. Zunächst galt er, als Präsident seit 1992, als gemäßigt, rational, demokratisch und integer. Wahrscheinlich war er es. So konnte sich eine zwar unvollkommene, aber lebendige und vernetzte Zivilgesellschaft bilden und die Politik beeinflussen. Für Akajew spricht paradoxerweise gerade, dass und wie er gestürzt wurde. Es gab noch eine demokratische Opposition, und es gab Medien, die die Empörung über die zunehmende Repression und Korruption formulieren und den Umsturz regulieren konnte. Akajew krallte sich nicht an der Macht fest und ging ohne Blutvergießen ins Exil nach Moskau.

Bakijew riskiert Bürgerkrieg

Die Opposition, die jetzt an die Macht gelangt ist, jubelt keiner charismatischen Führerfigur zu. Das macht sie glaubhaft

Bakijew repräsentierte zunächst die rebellische Zivilgesellschaft. Aber auch er konnte oder wollte der Versuchung nicht widerstehen, die Machtmittel einzusetzen, die ihm zur Verfügung standen, und seine loyalen Unterstützer reich zu belohnen. Korruption, Unterschlagung, Inkompetenz und Repression nahmen nach einem kurzen Frühling zu. Und Bakijew ist aus härterem Holz geschnitzt als Akajew. Im Zweifel würde er einen Bürgerkrieg riskieren, um seine Macht zu behalten.

Die Tulpenrevolution hatte die Zivilgesellschaft zwar wieder aufblühen lassen, sie hatte aber die Institutionen, die Demokratie dringend benötigt, nicht gestärkt, auch wenn die von ihr formulierte demokratische Kommunalverfassung in Mittelasien ihresgleichen suchte und zunächst ein eigenes politisches Leben entwickelte. Leider wurde sie sukzessive unterlaufen. Und so konnte Bakijew von 2007 an den Weg in die Diktatur einschlagen, mit den üblichen Formen von Repression, Korruption und Entmündigung. Dass er den Weg gleichwohl nicht zu Ende gehen konnte, lag daran, dass eben doch noch Reste einer ehemals starken oppositionellen Zivilgesellschaft vorhanden waren.

In den Nachbarländern sind die zivilgesellschaftlichen Strukturen längst vernichtet worden. In ihnen ist als einzig wirksame Opposition der muslimische Fundamentalismus übrig geblieben. Und der ist widerstandsfähiger als die liberalen und eher sanftmütigen Demokraten es sind.

Die Opposition, die jetzt an die Macht gelangt ist, orientiert sich noch immer an demokratischen Idealen. Dass sie zerstritten ist und keiner charismatischen Führerfigur zujubelt, macht sie glaubhaft. Ihr Schicksal wird nun von ihrer Fähigkeit abhängen, die Institutionen, die die Macht kontrollieren sollen, zu stärken, abzusichern und in der politischen Kultur zu verankern. Das ist leichter gesagt als getan, und einfache Rezepte, das zu erreichen, gibt es nicht. Ohne sie wird aber auch der dritte demokratische Versuch Kirgisiens, sich in eine Demokratie zu verwandeln, in Korruption und Repression enden. ERHARD STÖLTING