NÄCHSTE AUSFAHRT MORITZPLATZ
: Sie wollen Wodka-Quickies

VON JAN JOSWIG

Ich brauche nicht mehr auszugehen. Das Ausgehen kommt zu mir. Mein Viertel, meine Gegend, mein Block – bis jetzt schlummerte meine Welt als Spitzweg-Enklave mitten in Berlin, weiträumig von den Feier-Barbaren ausgespart. Aber das Fleckchen zwischen Moritzplatz und Halleschem Ufer gerät in ihr Visier. Und es scheint die Hippie-Raver nicht mal zu beunruhigen, dass sie die Nachtruhe der Ökopflanzen im Prinzessinnengarten auf dem Moritzplatz stören. He, wir sind doch alle mighty alternativo, nehmt Rücksicht! Aber nachdem sich Berlin-Mitte mit dem Dice Club, dem Tresor oder Bergmann’s Partyhaus auf dem Alexanderplatz auf die Jagd nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner spezialisiert hat, tröpfeln die nicht komplett Ahnungslosen nach Süden durch, in mein Soziotop mit dem hängebackigen Mann, der immer dieselbe Lederjacke trägt, aber schon den dritten Hund beerdigt hat, den zwei Kindern, die nicht richtig Einrad fahren können, und dem weißhaarigen Hippie, dem seit zehn Jahren noch nie jemand eines seiner Plastikblumengestecke aus dem Fahrradkorb gestohlen hat.

Dieses Provinzpersonal mitten in der Großstadt muss jetzt mit einer neuen Durchmischung klarkommen – mit den Kids, die auf der Suche nach unverbrauchten Partykicks das 90s-Revival entdecken. Sie wollen es wieder selbst gebastelt und bunt improvisiert. Garderobe? Indirektes Beleuchtungssystem? „Function One“-Musikanlage? Barpersonal, das so aussieht, als könnte es einen „Swimming Pool“ mixen? Die Kids wollen Wodka-Quickies in Sperrholzdeko. Strobo und druff. Alright. Wenn sie dann mit dem ersten Schrei der rolligen Katzen vom Prinzessinnengarten aus dem Ritter Butzke, dem Freudenzimmer, dem St. Georg, dem Horst stolpern, müssen sie unbedingt noch Boule spielen, statt Kugeln werfen sie natürlich mit Bierflaschen. Auf dem frühmorgendlichen Weg zum Bäcker muss ich nicht nur Hundehaufen, sondern auch Scherbenhaufen und immer öfter Häufchen menschlichen Partyelends umkurven.

Als ich bei meinem ersten Kaffee-Cointreau-Gedeck am Frühstückstisch sitze und meinen Blick interesselos aus dem Fenster schweifen lasse, explodiert als Kollateraleffekt der Partyinvasion direkt vor meiner Haustür die Actionbombe. Aus einem abgedunkelten VW-Bus springen drei Männer und eine Frau in Räuberzivil, stürmen auf einen Halbstarken zu, der gerade in seinen BMW einsteigen will, schubsen ihm die Beine auseinander und legen ihm Handschellen an. Hinter den BMW klemmt sich quietschend ein zweiter Bus, aus dem zwei weitere Zivilbeamte klettern, schon viel gemütlicher. Sie verfrachten den Halbstarken in den ersten Bus. Sie palavern. Sie sehen aus, wie man in Räuberzivil eben aussieht. Zwanzig Minuten später kommt ein Pkw mit Drogenhund und Herrchen. Der Schäferhund schnüffelt durch den Wagen, ergebnislos. Sie ziehen mit dem Verhafteten ab. Sieben Mann, ein Hund, drei Autos, eine Stunde. Wow, was für ein effektiver Einsatz, denke ich in meiner Inkompetenz. Als ich mich noch frage, wie lange jetzt wohl der hässliche BMW vor meiner Haustür stehen bleiben wird, kommt der Verhaftete wieder vorbei, leicht gehetzt, aber ohne Begleitung, steigt in seinen Wagen und fährt davon. Gut, sage ich mir, das wäre erledigt.