Geil ist Marzahn noch lange nicht

AM RAND Die Presse jazzt Marzahn zum neuen Szenebezirk hoch: In der Alten Börse sollen Yogaclub, Goldschmiede, Schreinerei, Flohmarkt und Filmfestival bald auch dem gemeinen Marzahner offenstehen

Die Hakenkreuze und „Heil Hitler“-Graffiti der Neonazis wurden bereits entfernt

VON ANDREAS HARTMANN

Vom Szenebezirk Friedrichshain in den vermeintlichen Randbezirk Marzahn ist es erstaunlicherweise gar nicht weit. Mit dem Fahrrad ist man in gut 20 Minuten da. Man muss nur den NPD-Plakaten folgen, dann kann man das riesige Gelände rund um die Alte Börse, das gerade zu einer Art Künstlerdorf ausgebaut wird, kaum verfehlen. Der Tagesspiegel war auch schon da, auf dem um die 30.000 Quadratmeter großen Gelände, das der Investor Peter Kenzelmann für 5 Millionen Euro gerade zur kreativen Spielwiese mit Biergarten, Kino und Ateliers umfunktioniert, und befindet: „Marzahn ist plötzlich angesagt.“ Und dem Berliner Kurier ist schon jetzt klar: „Marzahn ist geiler als Mitte.“

Dazu lässt sich erst mal sagen, dass Marzahn zusammen mit Hellersdorf einen Bezirk bildet, und was dort zuletzt vor einem Asylantenheim los war, das war eher nicht so geil. Noch zur Fußball-WM 2006 wurden in ausländischen Zeitungen Leute, die nicht so aussehen, wie sich mancher Deutsche vorstellt, vor Marzahn als „No-go-Area“ gewarnt. Und irgendwie „angesagt“ ist Marzahn zumindest bis auf Weiteres sowieso nicht.

Aber das, was in der Alten Börse passiert, ist tatsächlich erstaunlich. Ständig wird in Berlin davon geredet, dass Kreative immer mehr an den Stadtrand verdrängt werden könnten, und nun scheint es tatsächlich zu passieren. Das Tacheles musste Investorenträumen in Mitte weichen, nun hat es in der Alten Börse eine Art Exil gefunden. Die rostigen „Tacheles“-Buchstaben stehen auf dem weitflächigen Gelände des ehemaligen Viehhofs, dessen Gebäude teilweise unter Denkmalschutz stehen, und um diese herum einige der typischen Tacheles-Schrottskulpturen. Gerade lässt sich ein französischer Kunstliebhaber so ein Ding einpacken. Die Tacheles-Kunst scheint immer noch ihre Liebhaber zu haben.

Für Ankelina Möller und ihren Freund Roman Hillmann ist das, was hier in einem der verrufensten Bezirke Berlins entsteht, die Schöpfung eines „Visionärs“. Damit meinen die beiden Peter Kenzelmann, der in der Alten Börse neben allem anderen auch noch mit der Fertigstellung seiner Brauerei beschäftigt ist, in der sein Kiezbier, das „Marzahner“, hergestellt werden soll. Auf dem „Oktoberfest“, das noch im September in der Alten Börse stattfindet, soll die Hausmarke ausgeschenkt werden.

Ankelina Möller und Roman Hillmann sind ein Fotografenpärchen, das einen Teil der Pressearbeit für das gewaltige Kenzelmann-Projekt übernommen hat. Außerdem fungieren die beiden als eine Art Hausmeister. Sie wohnen seit Kurzem auf dem Gelände, in den sogenannten Kunstbaracken in unmittelbarer Nähe zur Alten Börse. Die Kunstbaracken sind ehemalige NVA-Gebäude, die jahrelang unbenutzt waren. Um die Baracken herum wuchert wild das Grün, und in ihnen entstehen nach und nach Ateliers. Wer hier einen der Räume anmieten möchte, muss allerdings erst noch ein wenig selbst Hand anlegen. An den Wänden stehen teilweise immer noch Schmierereien wie „Watch out Niggers“. Die Hakenkreuze und „Heil Hitler“-Graffiti wurden bereits entfernt. Es sind Zeugnisse der Neonazis, die sich, bevor die Kunst nach Marzahn gekommen ist, in den Baracken wohl zum launigen Dosenbiertrinken eingefunden haben.

Hillmann redet viel davon, dass es bei dem, was hier gerade entsteht, nicht darum gehe, nur ein Künstlerbiotop zu errichten, in dem Kreative aller Art unter sich blieben. Man wolle Kunst und Kultur zu den Bewohnern des sozial gebeutelten Bezirks holen. Man wolle die Menschen teilhaben lassen und nicht nur die Rummelmüden aus Mitte mal in den ansonsten etwas trostlosen Plattenbaubezirk locken. Yogaclub, Goldschmiede, Schreinerei, Fotoworkshops, Flohmarkt, Filmfestival, all das, was es auf dem Gelände bereits gibt oder in Planung ist, soll auch dem stinknormalen Marzahner offenstehen, den Hillmann beinahe schon liebevoll „bodenständig“ nennt, während er findet, in Mitte gebe es nur noch „Show“. Man wolle nicht neben den Marzahnern etwas aufbauen, sondern mit ihnen, letztlich soll gar „der ganze Bezirk verändert werden“.

An dieser Stelle der Ausführungen kann man dann schon mal skeptisch werden. Kunst und Kultur als Motor für die Aufwertung eines Kiezes, das kommt einem aus dem innerstädtischen Diskurs um Verdrängung und Gentrifizierung nur zu bekannt vor. Ob der Kunst in Marzahn aber wirklich die Künstler folgen und diesen wiederum die Menschen mit etwas mehr Kleingeld in der Tasche, darüber lässt sich dennoch nur spekulieren.

Noch zieht es jedenfalls keinen Mitte-Hipster ernsthaft in einen Plattenbau in Marzahn. Aber rund um die Alte Börse befinden sich derzeit auch jede Menge Kleinfamilienhäuser im Bau. Vielleicht hat der Wandel von Marzahn ja doch schon längst begonnen.