Studienplätze teuer erkauft

HOCHSCHULE Berlin verlangt keine Studiengebühren? Doch: An den öffentlichen Unis gibt es immer mehr weiterbildende Masterstudiengänge für bis zu 4.500 Euro pro Semester. Studierende befürchten, dass diese die gebührenfreien Master verdrängen

■ Etwas mehr als 1.200 Studierende sind derzeit an FU, HU und TU in weiterbildenden Mastern eingeschrieben – rund 6,5 Prozent aller Masterstudenten an diesen Unis. Die meisten von ihnen (599 Menschen) studieren an der FU, die mit 21 weiterbildenden Mastern auch die meisten anbietet.

■ Mindestens 300 Euro Studiengebühren müssen pro Semester für einen weiterbildenden Master gezahlt werden. Am teuersten ist der Master „Internationale Tiergesundheit“ an der FU – er kostet insgesamt 18.000 Euro für zwei Jahre, also 4.500 Euro pro Semester. (kwb)

VON KLAAS-WILHELM BRANDENBURG

An einem heißen Mittwochnachmittag sitzt Maria Döring im Hörsaal 1a der Freien Universität in Dahlem. Draußen herrschen 36 Grad, im klimatisierten Hörsaal dagegen ist es angenehm kühl – zur Freude der 23-Jährigen. Denn der Stoff verlangt Konzentration: Es geht um „Theorien des Komischen und der Komödie“, gerade spricht der Dozent über Sigmund Freud. Zur selben Zeit sitzt Janina Henkes in der philologischen Bibliothek der FU, keine 200 Meter entfernt, und schreibt an ihrer Masterarbeit über die Selbstvermarktung von SchriftstellerInnen. Auch sie könnte die Vorlesung besuchen, in der Maria Döring jetzt sitzt. Allerdings muss Janina Henkes 500 Euro pro Semester für diese Möglichkeit zahlen – an ein und derselben staatlichen Hochschule wie Maria Döring. Wie kann das sein?

Es liegt an den zwei unterschiedlichen Master-Studiengängen der beiden jungen Frauen. Döring, die für ihr Studium kein Geld bezahlen muss, ist im zweiten Semester ihres Masters in Neuerer deutscher Literatur, ein sogenannter konsekutiver Master. Konsekutiv heißt so viel wie „unmittelbar folgend“, und für die große Mehrzahl der Studierenden ist ein konsekutiver Master das, was unmittelbar auf ein Bachelor-Studium folgt: Mehr als neun von zehn Studierenden in Berlin entscheiden sich nach dem Bachelor für diese Möglichkeit. In konsekutiven Mastern kann man oft nur dasselbe Fach wie im Bachelor studieren, weil jeder Master bestimmte Vorkenntnisse verlangt, die der Studierende im Bachelor erworben haben muss. Im Master etwas anderes zu studieren als zuvor im Bachelor wird dadurch so gut wie unmöglich gemacht.

500 Euro pro Semester

Für Janina Henkes dagegen, die für jedes Semester an der FU 500 Euro bezahlt, wäre das kein Problem gewesen. Sie studiert Angewandte Literaturwissenschaft, einen sogenannten weiterbildenden Master. Für diese Master sind die Zulassungsvoraussetzungen oft nicht so streng wie bei konsekutiven Mastern. So haben viele weiterbildende Master zwar einen Numerus clausus – der ist jedoch oft so niedrig, dass fast jede Bewerberin und jeder Bewerber auch genommen wird.

Das liegt vor allem an der bislang geringen Nachfrage: Während im letzten Jahr etwa auf einen konsekutiven Masterstudienplatz an der TU Berlin im Durchschnitt zweieinhalb BewerberInnen kamen, war das Verhältnis bei weiterbildenden Mastern ausgeglichen. Wer für seinen Master zahlt, hat es also oft leichter, einen Platz zu bekommen, und kann sich sein Wunschfach außerdem einfacher aussuchen als jemand, der das Geld dafür nicht hat.

Wer einen weiterbildenden Master studieren will, muss an den staatlichen Berliner Unis Studiengebühren zwischen 300 und ganzen 4.500 Euro pro Semester bezahlen, Letzteres für den Studiengang „Internationale Tiergesundheit“ an der FU. Außerdem muss man, neben einem Bachelor-Abschluss, auch bereits mindestens ein Jahr lang in einem Beruf gearbeitet haben. Dennoch kommen sich konsekutive und weiterbildende Master manchmal sehr nahe.

Ein Beispiel von der FU: Dort gibt es zum einen den normalen Masterstudiengang „Politikwissenschaften“ am bundesweit bekannten Otto-Suhr-Institut, das trotz immer neuer Sparrunden nach wie vor sehr beliebt ist. Am selben Institut wird der weiterbildende Master „Politik und deutsche Nachkriegsgeschichte“ angeboten – für 1.000 Euro pro Semester. Während man für den normalen Politik-Master in den letzten zwei Jahren im Bachelor mindestens eine Durchschnittsnote von 1,5 haben musste und mehr als fünf BewerberInnen auf einen Studienplatz kamen, konnten im weiterbildenden Master „alle Bewerberinnen und Bewerber in den letzten drei Jahren zugelassen werden“, so die FU – die Durchschnittsnoten der BewerberInnen waren also egal.

Und nicht nur die Namen klingen manchmal ähnlich – in vielen weiterbildenden Mastern werden zum Teil dieselben Lehrveranstaltungen angeboten wie in konsekutiven. Janina Henkes zum Beispiel berichtet von mehreren Seminaren, in denen sie zusammen mit Studierenden aus verschiedenen anderen konsekutiven Mastern gesessen habe, obwohl Dozenten, die in konsekutiven Mastern lehren, auch eigene Kurse für weiterbildende Masterstudiengänge anbieten. Bei der gemeinsamen Betreuung beider Master-Arten haben die Dozenten weniger Zeit, um Studierende in konsekutiven Mastern zu betreuen.

Die Vielfalt dessen, was man an FU, HU und TU in einem weiterbildenden Master studieren kann, ist wie auch an privaten Universitäten groß: Von A wie Angewandte Literaturwissenschaft bis Z wie Zukunftsforschung ist fast alles dabei. Geisteswissenschaften ebenso wie Naturwissenschaften, medizinische ebenso wie juristische oder wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge. Alle drei Universitäten haben das Angebot in den vergangenen Jahren immer weiter ausgeweitet, – „nachfrageorientiert“, wie es von den Hochschulen unisono heißt.

Einerseits ist das vom Land Berlin gewollt: Dieses habe die Unis „hochschulvertraglich verpflichtet, ihre kostenpflichtigen weiterbildenden Angebote kontinuierlich auszubauen“, so ein Sprecher der FU. Allerdings haben die Unis durchaus ein Eigeninteresse, weiterbildende Master anzubieten: HU und TU bestätigen auf Nachfrage, dass sie „auch ohne entsprechende explizite Verpflichtung, sofern es die Rahmenbedingungen zulassen, Weiterbildungsangebote machen“ würden, schreibt TU-Vizepräsidentin Gabriele Wendorf.

Bleibt die Frage, warum – denn „finanzielle Vorteile können und sollen durch das Prinzip der Kostendeckung, das für die weiterbildenden Masterstudiengänge angewendet wird, nicht entstehen“, so Sandra Westerburg, Leiterin des Präsidialbereichs der HU. Dass die Unis mit weiterbildenden Mastern Geld verdienen und die knappen Kassen auffüllen, darf also eigentlich nicht sein.

Eigentlich. Dass es trotzdem immer mehr weiterbildende Master gibt, könnte jedoch auch an der speziellen Kofinanzierung durch das Land liegen: Durch die sogenannte leistungsbasierte Hochschulfinanzierung bekommen die Unis für jeden Abschluss eines weiterbildenden Masters einen Zuschuss durch das Land. Allein an der HU sind das in diesem Jahr insgesamt voraussichtlich 147.000 Euro. Diesen Zuschuss dürfen die Unis frei in ihrem Haushalt einsetzen. Allerdings rechnen die Unis ihn in die Kostenkalkulation der weiterbildenden Master nicht ein und gestalten die Studiengebühren daher so, dass sich die Studiengänge bei entsprechender Auslastung schon ohne diesen Zuschuss selbst tragen könnten.

Indirekt belohnt das Land also, dass öffentliche Studiengänge mit Gebühren angeboten werden. Philipp Bahrt vom Allgemeinen Studierenden-Ausschuss der FU sieht in den weiterbildenden Mastern die versteckte Einführung von Studiengebühren: „Es besteht die Gefahr, dass normale Master reduziert und im Gegenzug weiterbildende Master ausgebaut werden.“

Wer für seinen Master zahlt, kann sich sein Wunschfach einfacher aussuchen als jemand, der das Geld dafür nicht hat

Und trotzdem – derzeit gebe es durch die mangelnde Auslastung der weiterbildenden Master vorrangig ein ganz anderes Problem, kritisiert Bahrt. Oft nämlich „kann sich das Angebot nicht selbst tragen – deshalb müssen öffentliche Gelder die weiterbildenden Master bezuschussen“. Dass die weiterbildenden Master an sich bislang oft kein besonders gutes Geschäft für die Unis sind, zeigte sich zuletzt Ende Mai sehr deutlich: Da stand die „Deutsche Universität für Weiterbildung“ (DUW), die zur Hälfte der Freien Universität und damit dem Land Berlin gehörte, zum Verkauf – für einen Euro.

Zusätzliche Einnahmen

An der DUW, die als private Hochschule organisiert war, konnte man weiterbildende Master studieren. Fünf Millionen Euro steckte die FU mit der Gründung 2008 in das Projekt, das ihr eigentlich zusätzliche Einnahmen bringen sollte. Die gleiche Summe kam vom anderen Mitinhaber, der Klett-Gruppe. Aber weil viel zu wenige Studenten für 15.600 Euro pro Studiengang studieren konnten oder wollten, waren von den insgesamt 10 Millionen Euro Startkapital am Ende nur noch 2,3 Millionen übrig. Mittlerweile hat die Steinbeis-Gruppe, die in ganz Deutschland private Hochschulen betreibt, die DUW gekauft.

Janina Henkes, die gerade an ihrer Masterarbeit schreibt, zieht eine gemischte Bilanz ihres weiterbildenden Masters. „Ich würde es noch mal studieren“, sagt sie. Ihr Studium sei berufsorientierter gewesen, das habe sie gut gefunden. „Aber dafür Geld zu bezahlen, das darf nicht sein“, findet sie. „Ich selbst hatte das Glück, dass ich ein bisschen was zurückgelegt hatte und meine Eltern mich unterstützt haben. Aber viele andere haben dieses Glück nicht.“

Trotzdem ist vorerst kein Ende der Ausweitung weiterbildender Master abzusehen: „Wo es passt und wo spezifischer Bedarf besteht, werden entsprechende Programme entwickelt und eingerichtet“, teilt die FU mit. Mehr Plätze in konsekutiven Masterstudiengängen einzurichten sei dagegen nicht geplant, so die FU weiter: „Das lässt das System der Hochschulfinanzierung im Land Berlin nicht zu.“