Auf Sand gebaut

BEZIEHUNGSDRAMA In Stefan Kornatz’ „Verhältnisse“ verliert ein Mann sein schickes Leben (20.15 Uhr, ARD) – so kalt und trostlos wie sonst nur in Kinofilmen der „Berliner Schule“

Kalt ist auch das Setting des Films. Frankfurt, Stadt aus Glas und Stahl. Wohnungen, auf so aseptische Weise modern eingerichtet, keine Orte zum Leben

VON JENS MÜLLER

Was macht eigentlich Nicolette Krebitz? In den Neunzigern war sie mal eines der Gesichter des deutschen Films, absolut konsensfähig, im Sat.1-Thriller ebenso präsent wie auf der Kinoleinwand und schließlich auf einem New-Order-Cover. Im vergangenen Jahrzehnt dann hat sie sich rar gemacht, als Schauspielerin. Dass ihr das Gespür für den Zeitgeist dabei keineswegs abhanden gekommen ist, hat sie eindrücklich bewiesen, als sie ihren Regiebeitrag für das ambitionierte Episoden-Machwerk „Deutschland 09“ mit einem pummeligen, verhuschten Gör im abgeguckten Patti-Smith-Style besetzte: Helene Hegemann. Chapeau!

Eine vergleichbare schauspielerische Allgegenwart wie zuvor die Krebitz hatte in den Nullerjahren Devid Striesow. Stets die allererste Wahl für die erste Riege der heimischen Regieprominenz von Christian Petzold bis Doktor Dieter Wedel. Das muss ihm erst mal einer nachmachen. Dafür die besten Chancen haben dürfte zurzeit Lars Eidinger. Vor Maren Ades „Alle Anderen“ nur Berliner Theatergängern ein Begriff, ist er heute der in allen Postillen landauf, landab porträtierte coole It-Boy seiner Generation. Nicolette Krebitz. Devid Striesow. Lars Eidinger. Allein für die Zusammenstellung seines Ensembles gebührt Stefan Kornatz, dem Regisseur und Autor des Films „Verhältnisse“, Respekt. Für alles andere dann aber auch. Die Verhältnisse, in denen die Handlung einsetzt, scheinen auf den ersten Blick heil zu sein. Schicke Leute mit schicken Brillen in schicken Klamotten in einem schicken Haus, vor dem sie mit einem schicken Auto vorfahren, zu einer schicken Party. Und wenn man als Betreiber eines schicken Architekturbüros die schicke Stadtbaurätin auf seiner Party hat, muss wohl alles in Butter sein. „Amüsierst du dich?“, fragt Kerstin Schneider (Krebitz) ihren Ehemann Philipp (Striesow). „Ja. Läuft gut, ne“, antwortet der. Von wegen!

An welch dünnem Faden das Lebensglück hängt und wie schnell der reißen kann, darüber kann er sich nicht mehr lange Illusionen machen. Später im Film wird Daniel Baumann (Eidinger) Philipps Situation so zusammenfassen: „Ich stelle mir lediglich vor, wie sich das anfühlt, wenn man seine Familie verliert, aus seinem Haus raus muss, pleite geht und dann auch noch zusehen darf, wie so ’n cooler Typ wie ich die Frau ausführt.“ Kalt fühlt sich das an.

Kalt ist auch das Setting des Films. Frankfurt, Stadt aus Glas und Stahl. Wohnungen, auf so aseptische Weise modern eingerichtet, keine Orte zum Leben. Der große Fensterrahmen des „Seoul“, eines minimalistisch gestylten „Koreanischen Tischgrill Restaurants“, kadriert Philipps einsames Elend präzise. Das kennt man so radikal vom Doyen der „Berliner Schule“, von Christian Petzold, aus seinen Filmen „Toter Mann“ und „Wolfsburg“. Nur: Wir sind hier nicht in der „Berliner Schule“, wir sind hier in der Bildermaschine des deutschen Prime-Time-Fernsehens – und Stefan Kornatz war in der Vergangenheit Autor für Fertigprodukt-Fernsehserien wie „Hinter Gittern – Der Frauenknast“ und „Die Küstenwache“. Wie gesagt: Respekt – für seine „Verhältnisse“.

Kornatz zieht das konsequent durch, die kalte Trostlosigkeit eines kontaminierten Lebens. Noch am Filmende wartet er mit einer Variante auf, wie sie auch Christian Petzold immer wieder durchgespielt hat, in „Die innere Sicherheit“, „Wolfsburg“, „Yella“.