„Auch Hartz-IV-Empfänger können bauen“

Alternative Wohnprojekte bieten eine Menge Vorteile. Sie sind ökologisch, flexibel und meist preiswert. Zusammen mit anderen zu bauen ist auch für Niedrigverdiener interessant. Welche Modelle es gibt, erklärt Architektin Irene Mohr

taz: Frau Mohr, Sie beraten alternative Wohnprojekte nicht nur finanziell und architektonisch, sondern auch gruppendynamisch. Was bedeutet das?

Irene Mohr: Wir betreuen Gruppen von 3 bis 40 Menschen, die gemeinsam ein Haus bauen oder sanieren wollen. Von der Sammlung der Interessen für ein Projekt über den Bau bis zur Beseitigung von Mängeln. Das ist ein besonderer Prozess: Statt mit nur einem Bauherren müssen wir mit ganz vielen Leuten planen.

Bis zu 40 Menschen – wie finden die denn zusammen?

Meist gibt es anfangs eine Kerngruppe von zwei bis drei Parteien. Dann folgen Treffen, bei denen man Mitstreiter sucht, etwa im Bekanntenkreis. Wenn noch Leute fehlen, geht man an die Öffentlichkeit, schaltet etwa Anzeigen. Bei meinem derzeitigen Projekt, der Genossenschaft Leuchtturm, hatten wir am Samstag das letzte informelle Treffen mit 16 Interessierten. Wir suchen übrigens noch weitere Mitglieder.

Worum geht es dabei?

In der Saarbrücker Straße entsteht ein Passivhaus in Holzbauweise. Weil es ein Neubau ist, können wir den künftigen Bewohnern flexible Grundrisse anbieten: Die Tragstruktur wird so geplant, dass sich Innenwände je nach Wohnsituation verschieben lassen. Das Projekt ist generationenübergreifend und nimmt auf Bedürfnisse Behinderter Rücksicht.

Lohnt sich das ökologisch-gemeinschaftliche Wohnen auch finanziell?

Wenn die Kredite erst abbezahlt sind, hat man eine sehr preiswerte Wohnung. Man zahlt nur noch die Nebenkosten. Und die sind in einem Passivhaus mit 50 Cent pro Quadratmeter äußerst gering. Bei normalen Wohnungen rechnet man 1,50 bis 2 Euro.

Wie können sich die Bauwilligen rechtlich organisieren?

Am einfachsten gründet man als Baugemeinschaft eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Das Haus wird dann in Wohneigentum umgewandelt. Eine zweite Möglichkeit ist die Gründung einer Genossenschaft. Für die Finanzierung des Baus erwirbt jeder Anteile zwischen 5.000 und 10.000 Euro, dazu kommt noch ein einmaliger freiwilliger Genossenschaftsanteil, je nach Größe der Wohnung des Genossenschaftlers. Diese Form ist rechtlich unverbindlicher als die dritte Möglichkeit, die Gründung einer GmbH. Dabei wächst das Stimmrecht mit den Gesellschaftsanteilen. Bei der Genossenschaft hat jeder das gleiche Stimmrecht, egal wie hoch seine Einlagen sind.

Und wo kommt das Geld her?

Von Genossenschaftsbanken wie der Berliner Volksbank oder der GLS-Bank, der Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken. Da gibt es für gemeinschaftliche Modelle einen Bürgschaftskredit. Beim Projekt Leuchtturm haben wir eine Leih- und Schenk-Gemeinschaft gegründet. Die GLS zahlt einen Kredit von 3.000 Euro pro Person – ohne Schufa-Prüfung. So haben etwa auch Hartz-IV-Empfänger die Möglichkeit einzusteigen.

Gibt es auch Stiftungen, die so was fördern?

Ja, aber nur mit kleinen Beträgen. Genossenschaftliche Hausgruppen können sich an die Stiftung Umverteilen wenden, die ihr Stiftungskapital in den Erwerb von Grundstücken investiert. Von öffentlicher Seite gibt es leider keine Gelder mehr. Der Senat hat das Förderprogramm Bauliche Selbsthilfe 2002 eingestellt.

Und wie wohnen Sie selber?

Natürlich in einem Hausprojekt. Wir sind drei Familien, die zusammen eine ehemalige Ferienanlage in der Nähe von Potsdam ausgebaut haben. Das war ein Modellprojekt des Landes Brandenburg. In Brandenburg gibt es nämlich eine öffentliche Förderung für solche Projekte.

INTERVIEW: TORSTEN GELLNER