„Nur auf die Polizei zu setzen reicht nicht“

FLUCHT II Georg Classen vom Flüchtlingsrat fordert ein Sicherheitskonzept für Hellersdorf, das Schulen und Wohnungsbaugesellschaften einbindet – die Anwohner jedoch nicht unbedingt

■ ist Sprecher des Flüchtlingsrats Berlin. Der Diplompädagoge ist Experte für Sozialrechtsfragen, die Flüchtlinge betreffen.

taz: Herr Classen, der Flüchtlingsrat hält es für unverantwortlich, zum jetzigen Zeitpunkt in Hellersdorf Flüchtlinge unterzubringen. Warum?

Georg Classen: Es ist für sie einfach unzumutbar. Die Flüchtlinge wurden per Rot-Kreuz-Konvoi mit Blaulicht quer durch die Stadt nach Hellersdorf gefahren. Sie haben uns erzählt, dass sie große Angst hatten. Sechs Flüchtlinge sind gestern Abend gleich aus dem Heim geflohen. Sie zitterten am ganzen Körper. Wir haben sie zur Bushaltestelle begleitet, da kamen Polizeiautos mit quietschenden Reifen. Wieder bekamen sie Panik – dabei wollte die Polizei sie vor einer Nazi-Attacke schützen.

Spielt man da nicht Neonazis und rassistisch auftretenden Anwohnern in die Hände, wenn der Widerstand gegen das Heim Erfolg hat?

Politische Prinzipienreiterei hilft jetzt nicht weiter. Die Situation in Hellersdorf ist für die Flüchtlinge absolut untragbar. Der Bezirk und das Landesamt für Gesundheit und Soziales müssen hier anders vorgehen.

Also liegt die Schuld bei der Politik? So ähnlich argumentiert auch die Bürgerinitiative, die sich gegen das Heim einsetzt.

Eine Bürgerinitiative gibt es dort gar nicht, nur eine anonyme Zusammenrottung gewaltbereiter Neonazis mit Anwohnern, die sich über Facebook organisiert. Dass die Anwohner nicht informiert wurden, wie sie behaupten, ist Blödsinn. Bereits zwei Monate vor dem Einzug wurde über das geplante Heim informiert. Auch das Argument, sie wüssten nicht, woher die Flüchtlinge kommen, zieht nicht. Kein Vermieter muss die Nachbarn informieren, woher neue Hausbewohner kommen. Außerdem ist es denen sowieso egal, ob die Flüchtlinge aus Syrien, dem Iran oder Afghanistan sind. Anders als bei einem Flughafen muss man bei einem Flüchtlingsheim keine Bürgerbeteiligung machen. Es stellt sich die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, die Anwohner einzubeziehen. In Mitte wurden vier Flüchtlingsheime eröffnet. Bei keinem gab es eine Bürgerbeteiligung, es blieb überall ruhig.

„Sechs Flüchtlinge sind gleich aus dem Heim geflohen. Sie zitterten am ganzen Körper“

Fest steht: Es werden weitere Flüchtlinge nach Berlin kommen, neue Heime werden eröffnet. Was muss getan werden, damit nicht das Gleiche passiert wie in Hellersdorf?

Die Flüchtlinge müssen in Wohnungen untergebracht werden. Wir haben dazu eine Reihe konkreter Vorschläge gemacht. Vor allem die landeseigenen Wohnungsgesellschaften sind in der Pflicht, Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Wenn es in einer kurzfristigen Notlage nicht anders geht, muss man auch auf Hostels zurückgreifen. Bevor Flüchtlinge nach Hellersdorf geschickt werden, braucht es ein Sicherheitskonzept, in das auch Schulen, die BVG, Wohnungsgesellschaften und weitere Akteure vor Ort einbezogen werden. Nur auf die Polizei zu setzen reicht nicht. Nazi-Demos vor Flüchtlingsheimen müssen verboten werden. Und Innensenator Henkel muss die Öffentlichkeit klar über die Erkenntnisse seiner Verfassungsschutzbehörde über die rechtsextremen Akteure informieren, die hinter den Aktionen dieser anonymen Bürgerinitiative stecken. INTERVIEW: S. ERB