Mal den Meister

ORIGINAL UND KOPIE „Jeder ist ein Künstler“, lautet das Motto des „Malsalons“ in Prenzlauer Berg. In seinen Kursen werden Kopien großer Gemälde der Kunstgeschichte angefertigt. Heraus kommen ganz individuelle Werke

Mutter und Tochter Staedler sitzen hochkonzentriert vor ihren Leinwänden. In ihrem Rücken eine Bilderwand, an der Kopien alter Meister hängen. Mutter Staedler greift zur roten Farbe und erinnert sich an ihre Malversuche als Teenager

VON GESA STEEGER

In buntgefleckten Malerkittelchen sitzen Jessyca und Petra Staedler vor ihren Leinwänden und beratschlagen über die richtige Farbgebung. Geht das Gelb vielleicht doch zu sehr ins Orange? Ein prüfender Blick zur Vorlage, dem „Kuss“ von Gustav Klimt, bestätigt die Zweifel. Es sei gar nicht so einfach, ein Bild glaubhaft zu kopieren, resümiert Mutter Staedler lachend, aber Spaß mache es schon.

Wer glaubt, das Fälscherhandwerk sei genialistischen Schlitzohren à la Wolfgang Beltracchi und Co. vorbehalten, den belehrt der „Malsalon“ im Prenzlauer Berg eines Besseren. Hier, in einem hellen Ladenlokal in der Knaackstraße, können auch Laienmaler unter professioneller Anleitung Schritt für Schritt erlernen, wie sie die großen Meisterwerke der Kunstgeschichte überzeugend kopieren. Im Angebot sind unter anderem die „Zypressen“ von van Gogh, der „Tiger“ von Franz Marc oder ein Stillleben von Cézanne.

Und an diesem sonnigen Sonntagmittag soll „Der Kuss“ von Gustav Klimt auf die Leinwand gebracht werden. Auf zwei langen Tischen stehen ein Dutzend Staffeleien, dazwischen bunte Acrylfarben, Pappen, Pinsel und Becher mit Knabberzeugs. Alles sieht sehr sauber und sehr freundlich aus. Wer sich auf die typischen Künstlerklischees gefreut hat, wird enttäuscht. Kein Dreck, kein Chaos, keine Verzweiflung. Stattdessen ist gedämpfte elektronische Musik zu hören, die für eine entspannte Atmosphäre sorgen soll. Doch kaum hat die Entspannung eingesetzt, wird diese durch die lärmende Ankunft der Kursteilnehmer jäh zerrissen.

Neben Mutter und Tochter Staedler haben sich vier weitere Hobbykopisten eingefunden. Kursleiterin Anna Aly Labana und Malsalon-Gründerin Kristin Möller begrüßen das Grüppchen. Während Labana weiße Malerkittel verteilt, steht Möller am Durchgang zur Küche und erinnert sich an die Anfänge des Malsalons. Auf die Idee für den Malsalon sei sie in New York gestoßen, erzählt die blondgezopfte 36-Jährige. Während Möller dort ihren Bruder besuchte, verirrte sie sich eines Abends auf eine Veranstaltung, auf der große Meisterwerke nachgemalt wurden. Sie malte mit und war begeistert. Zurück in Deutschland feilte Möller gemeinsam mit ihrer Schwägerin und einer Freundin an einem Konzept und eröffnete im Mai dieses Jahres den „Malsalon“ in Berlin.

Kursleiterin Anna Aly Labana erklärt die nächsten Schritte: Bleistift in die Hand, Bildumrisse auf dem Karbonpapier nachmalen, Farben mischen, Flächen ausmalen. Links neben ihr steht eine kleine Staffelei, auf der die Posterversion des originalen Klimt zu sehen ist.

Während die Kursteilnehmer die ersten zarten Linien zeichnen, läuft Labana von Platz zu Platz, um zu begutachten und gegebenenfalls zu loben. Das Motto des Malsalons, „Jeder ist ein Künstler“, sei sicherlich auslegbar, sagt die zierliche Künstlerin milde lächelnd. Es sei selbstverständlich, dass in einem knapp dreistündigen Workshop nicht die große Kunst entstehen könne. Das Tolle an einem Kurs im Malsalon sei, meint die 47-Jährige, dass Kopieren das Auge ungemein schule. Auch wer nicht gut malen könne, nehme am Ende des Kurses dennoch ein schönes Bild mit nach Hause.

Die anfängliche Aufregung ist einer konzentrierten Stille gewichen. Mutter und Tochter Staedler sitzen hochkonzentriert vor ihren Leinwänden. In ihrem Rücken eine Bilderwand, an der Kopien alter Meister hängen. Mutter Staedler greift zur roten Farbe und erinnert sich an ihre Malversuche als Teenager. Vom Malsalon habe sie in der Zeitung gelesen, erzählt sie. Die Idee, ein Meisterwerk zu reproduzieren, anstatt selbst eins zu erschaffen, fand sie toll. Eine gute Stelle an der Wohnzimmerwand gebe es auch schon für den Kuss.

Nach knapp drei Stunden sind auf allen Leinwänden Klimts entstanden. Alle sehen völlig unterschiedlich aus, sind aber auf je eigene Weise dem Original durchaus verwandt. Dass jeder seine eigene Version habe, meint Kursleiterin Labana, sei gerade das Schöne am Kurs des Malsalons – und wahrscheinlich der große Unterschied zu einer Kopistenwerkstatt in China.

■ Am Donnerstag wird im Malsalon van Goghs „Mandelblüte“ kopiert, am Freitag Lautrecs „Jane Avril“ www.malsalon.de/