„Ich lauf jetzt nach Berlin“

675 KILOMETER Weil es kaum etwas zu entscheiden gibt, lohnt sich das Wählen nicht, sagt der Demokratieaktivist Michael von der Lohe. Aus Protest läuft er nun zu Fuß in die Hauptstadt

■ 59, ist Fotograf, Künstler und Geschäftsführer beim Omnibus für direkte Demokratie in Hattingen. Gemeinsam mit anderen Demokratieaktivisten läuft er seit dem 18. August in 40 Tagen aus dem Ruhrgebiet nach Berlin. Mehr Informationen: www.der-aufrechte-gang.org

taz: Herr von der Lohe, Sie wollen von der Ruhr zu Fuß nach Berlin laufen. Was macht Sie zum Wandervogel?

Michael von der Lohe: Ich bin inspiriert von alten Schweizern.

Was soll das heißen?

Am 18. Januar 1831 haben sich rund 600 Schweizer ihre Bergstecken geschnappt und sind zu ihrer Kantonsverwaltung gewandert. Auf dem Rathausplatz haben sie so lang mit den Stecken gestampft, bis ihnen Mitbestimmungsrechte eingeräumt wurden. Das war die Geburtsstunde der direkten Demokratie in der Schweiz, der Steckli-Donnerstag. So machen wir es jetzt auch.

Was genau wollen Sie jetzt so machen?

Ich habe mir einen Haselnussstecken geschnitten, der gut als Wanderstab zu handhaben ist. Damit laufe ich jetzt nach Berlin. Wir wollen endlich eine gesetzliche Regelung der bundesweiten Volksabstimmung.

Wenn Sie in Berlin ankommen, sind die Wahlen schon vorbei.

Das ist richtig. Wir kommen pünktlich zu den Koalitionsverhandlungen an und wollen dann mit unseren Stecken vor dem Bundestag aufstampfen. Unsere Botschaft lautet: Die bundesweite Volksabstimmung gehört in den nächsten Koalitionsvertrag.

Sorry, aber: Sieht wohl nicht so aus, als ob das etwas wird.

Immerhin setzen sich inzwischen alle großen Parteien für mehr direkte Demokratie ein. Allerdings sind deren konkrete Vorstellungen oft miserabel. Die meisten Parteien wollen verhindern, dass Bürger auch über haushaltsrelevante Dinge abstimmen. Es gibt allerdings eine Partei, die bisher gar keine Verbesserungen wünscht. Das ist die CDU.

Wen wählen Sie denn dann?

Ich wähle gar nicht.

Sie latschen jetzt lange rum, aber zur Wahl gehen wollen Sie nicht?

Ich bin nicht mehr bereit, meine Stimme über Jahre bedingungslos abzugeben. Mein Eindruck ist, dass sich im parlamentarischen System die Verantwortung verflüchtigt. Das ist ähnlich wie in großen Unternehmen. Alle im System schieben die Verantwortung auf den anderen. Man findet schwerlich jemanden, der noch wirklich Verantwortung für sein Handeln übernimmt. Davon will ich weg.

Wie könnten Sie daran etwas ändern?

Es würde sich sehr viel ändern, wenn die Volksabstimmung auf allen Hoheitsebenen geregelt wäre, auch wenn die Bürger in der Lage wären, Gesetze der Volksvertreter wieder zurückzuholen. Ich glaube, wenn wir in Deutschland die repräsentative Demokratie nicht endlich sinnvoll weiterentwickeln, werden wir selbst verschuldet in undemokratische Verhältnisse geraten. Dagegen laufe ich an.

INTERVIEW: MARTIN KAUL