Die Moderne von einst zerfällt

OTTO HAESLER In Celle hat eine einst international gerühmte Bauhaus-Siedlung aus den 1930er-Jahren eine ungewisse Zukunft vor sich. Studenten haben jetzt Pläne für eine bezahlbare Sanierung gemacht

VON JOACHIM GÖRES

„schlafräume nur vormittagssonne, wohnräume mindestens nachmittagssonne, besser vormittags- und nachmittagssonne“: Als erster Architekt praktizierte Otto Haesler (1880–1962) konsequent dieses Prinzip. Nach seinen Plänen wurden in den 1920er- und 1930er-Jahren Siedlungen des Neuen Bauens mit dem typischen Flachdach in Karlsruhe, in Kassel, im brandenburgischen Rathenow sowie in Celle errichtet. Das Ziel: durch standardisierte industrielle Fertigung erschwinglichen Wohnraum zu schaffen. Celle ist heute die einzige Stadt in Norddeutschland mit einem bedeutenden Bestand des Neuen Bauens.

„Otto Haesler ist der bedeutendste Siedlungsarchitekt Deutschlands, seit Deutschland andere Nationen in der Lösung der Siedlungsprobleme weit überholt hat“, würdigte der US-Architekt Philip Johnson 1932 Haeslers gerade fertiggestellte Celler Siedlung Blumläger Feld.

Vor einigen Jahren allerdings wurden die meisten Häuser dieser Siedlung abgerissen, weil der städtischen Wohnungsbaugesellschaft als Eigentümerin die Sanierung zu kostspielig schien.

Bei den verbliebenen Bauten will man scheinbar einen anderen Weg gehen. Architekturstudenten aus Braunschweig, Hildesheim und Utrecht haben vor Kurzem in einem Workshop Ideen für die Sanierung der zweigeschossigen Häuser entwickelt.

„Wir haben mit vielen Mietern geredet, und ihr größter Wunsch ist, dass die Mieten nicht wesentlich steigen. Dann müssten nämlich viele Rentner oder Hartz-IV-Empfänger ausziehen“, sagt der angehende Bauingenieur Philipp Rother. Um das zu verhindern, schlagen die Studierenden die Aufstockung um ein Erdgeschoss oder den Neubau von Wohnungen im alten Stil an der Stelle vor, wo die Bewohner heute ihre Gärten haben. Für die neuen Wohnungen könnten höhere Mieten genommen werden, um die Sanierung der bestehenden mitzufinanzieren.

Eine Idee, die Denkmalschützern wenig gefallen dürfte. „Es kann nicht darum gehen, alles in den alten Zustand zu versetzen. Was neu ist, muss allerdings klar kenntlich gemacht werden“, sagt Claus Schlaberg. Der Semiotiker hat sich wissenschaftlich mit dem denkmalgerechten Umgang mit der Siedlung Blumläger Feld befasst, in der er seit vier Jahren auch lebt.

Die meisten der 52 Haesler-Wohnungen hier sind 36 bzw. 48 Quadratmeter groß. Alle haben über den Keller einen Zugang zum Garten. Haesler hatte diesen Zugang einst durch eine nach außen offene Laube geplant. Nach dem Krieg haben alle Mieter diese Laube aus Angst vor Diebstählen zugemauert.

Die 85-jährige Elisabeth Windel wohnt seit 1948 hier, ihre Schwiegermutter gehörte 1932 zu den ersten Bewohnern. „Damals war das ein Riesenfortschritt, Wohnungen mit Heizung und Toilette. Bis heute fühle ich mich hier wohl.“ Sie hofft, noch lange hier wohnen zu können.

Dass es nur in einem der drei von ihr bewohnten Räume einen Heizkörper gibt, stört sie nicht. Auch im Winter sei es immer warm genug, durch die vielen Fenster falle genug Sonnenlicht ein. Auch das kleine Bad mit der später eingebauten Badewanne ist für sie eine Errungenschaft: Noch bis in die 70er-Jahre gab es in der Siedlung ein Waschhaus, in dem man zu festen Zeiten ein Wannenbad nehmen konnte.

„Die alten Mieter sind hier sehr zufrieden, aber jüngere Menschen begnügen sich nicht mit so kleinen Bädern und Küchen. Wenn wir hier sanieren, müssen wir an ihre Wünsche denken. Danach wird die Miete nicht mehr wie jetzt bei im Schnitt 4,30 Euro liegen können“, sagt Siegfried Hildebrandt, Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft. Die Wohnungen seien zwar alle belegt, aber Hildebrandt wünscht sich eine andere Mischung. Derzeit lebten hier etliche alleinstehende Männer mit Alkoholproblemen.

Wie eine Sanierung aussehen könnte oder ob doch abgerissen wird, lässt er offen. Zunächst müsse geklärt werden, wie stark das Stahlskelett durch Korrosion geschädigt sei. Ein Bekenntnis zum Erhalt der Haesler-Siedlung, der in Rathenow, Kassel und Karlsruhe möglich war, hört sich anders an.

Das Celler Haesler-Museum, Rauterbergweg 1, zeigt die Einrichtungen von Wohnungen aus den 30er-Jahren. www.otto-haesler-stiftung.de

Claus Schlaberg führt durch die Haesler-Siedlungen und zeigt auch seine eigene, von Haesler erbaute Wohnung. Anmeldung unter ☎ 05141/278 14 62 oder an claus@schlaberg.de.